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Der Sohn des Azteken

Der Sohn des Azteken

Titel: Der Sohn des Azteken
Autoren: Gary Jennings
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Gerüchten zufolge brauchten die Caxtiltéca, wohin sie auf dem Siegeszug auch kamen, ihre tödlichen Waffen kaum zu benutzen.
    Einer unserer Informanten sagte: »Es müssen ihre Götter sein, die für sie töten. Die weiße Frau und das Kind sind blutdürstig und geradezu unersättlich. Mögen sie zur Mictlan fahren! Sie schlagen ganze Völker mit Krankheiten, an denen alle außer den Weißen sterben.«
    »Es sind entsetzliche Krankheiten«, flüsterte ein anderer. »Ich habe gehört, daß sich auf der Haut der Leute schreckliche Beulen und Pusteln bilden. Die Kranken müssen lange Zeit unvorstellbare Qualen leiden, bevor der Tod sie endlich gnädig erlöst.«
    »Die Menschen sterben scharenweise an dieser Plage«, rief ein Dritter. »Doch die Weißen scheinen dagegen gefeit zu sein. Es muß ein böser Zauber der weißen Göttin und des kleinen Gottes sein!«
    Wir hörten auch, daß in Tenochtitlan und Umgebung alle gesunden und überlebenden Männer, Frauen und Kinder zu Sklavenarbeit gezwungen wurden. Sie mußten aus den Trümmern und Ruinen die Stadt neu aufbauen. Doch auf Anordnung der Eroberer hieß sie von nun an Mexico. Sie war immer noch die Hauptstadt der ehemaligen EINEN WELT, doch auf Befehl der Weißen war daraus Nueva España, Neuspanien, geworden. Und, so ging das Gerücht, die neue Stadt gliche in keiner Weise der alten – Architektur und Verzierungen der Gebäude seien fremdartig und verwirrend. Offenbar hatten die Caxtiltéca die Pläne aus ihrem ›Altspanien‹ mitgebracht, wo immer das liegen mochte.
    Als wir in Aztlan schließlich erfuhren, daß sich die Weißen daranmachten, die Länder der Otomi und der Purémpecha zu unterwerfen, waren wir darauf gefaßt, die Räuber in allernächster Zeit auch bei uns zu sehen, denn Michihuácan, das nördlichste Gebiet des Purémpecha-Landes, liegt nur neunzig Lange Läufe von Aztlan entfernt. Doch die Purémpecha leisteten erbitterten und beharrlichen Widerstand, und das hielt die Eindringlinge jahrelang in Michihuácan fest. Die Otomi dagegen zogen sich vor den Angreifern zurück und überließen ihnen das Land, was immer es wert sein mochte. Es besaß für niemanden, auch nicht für die räuberischen Caxtiltéca, einen großen Wert, denn es war und ist, was wir das ›Tote-Knochen-Land‹ nennen – eine trockene, trostlose und ungastliche Wüste, die das ganze Land nördlich von Michihuácan umschließt.
    Die Weißen gaben sich schließlich zufrieden und beendeten ihren Vormarsch am Südrand dieser einförmigen Wüste, die sie den ›Großen öden Ort‹ nannten. Sie zogen die Nordgrenze ihres ›Neuspanien‹ entlang einer Linie, die ungefähr vom Chápalan-See im Westen bis zur Küste des Ostmeeres verläuft. Bei dieser Grenze ist es bis heute geblieben. Wo die Südgrenze von Neuspanien schließlich gezogen wurde, weiß ich nicht. Doch ich weiß, daß die Soldaten der Caxtiltéca die ehemaligen Maya-Gebiete Uluümil Kutz und Quautemálan unterwarfen und die noch weiter südlich gelegenen, feuchten heißen Länder besiedelten. Die Mexica hatten früher mit diesen Ländern Handel getrieben, doch selbst auf dem Höhepunkt ihrer Macht nie das Verlangen gehabt, sie ihrem Reich einzugliedern oder dort zu leben. In diesen ereignisreichen Jahren, über die ich hier in groben Zügen berichtet habe, fielen auch die leichter vorhersehbaren und weniger aufsehenerregenden Ereignisse meiner Jugend. An dem Tag, an dem ich sieben Jahre alt wurde, brachte man mich zu dem runzligen alten Tonalpóqui, dem Namensgeber von Aztlan. Er zog sein Tonalmati, das Buch der Namen, zu Rate, erwog alle guten und schlechten Zeichen bei meiner Geburt und gab mir den Namen, den ich von nun an tragen würde. Mein erster Name war natürlich nur der des Tages, an dem ich auf die Welt kam: Chicuáce-Xóchitl, die ›Sechs Blüten der Blume‹. Als meinen zweiten Namen wählte der alte Seher Téotl-Tenamáxtli, ›Gegürtet und stark wie Stein‹, weil der Stein, wie er sagte, ›ein gutes Omen‹ sei. Zur gleichen Zeit, als ich Tenamáxtli wurde, begann mein Unterricht an den beiden Telpochcáltin, den Schulen von Aztlan – im Haus der Körperstärkung und im Haus der Sittenlehre. Als ich dreizehn war und das Schamtuch des Mannes anlegte, schloß ich die Ausbildung an diesen Einführungsschulen ab und besuchte nur noch die Calmécac der Stadt. Dort unterrichteten Priester aus Tenochtitlan Wortkunde und viele andere Fächer wie Geschichte, Medizin, Geographie und Dichtkunst – also fast
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