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Der schwarze Dom

Der schwarze Dom

Titel: Der schwarze Dom
Autoren: Christopher Pike
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seinem sechsten Lebensjahr behindert.
    »Wärst du über die Ampel drübergefahren?« fragte Rick.
    »Wahrscheinlich.«
    »Hast mich nicht gesehen, was?«
    »Nee. Du warst zu schnell.« Rick absolvierte jeden Morgen sein Straßentraining. Einmal hatte er die Idee gehabt, mit seinem Rollstuhl beim New-York-Marathon mitzumachen. Carl wünschte ihm nichts Böses, aber Ricks Schnaufen, mit der er morgens seine Eine-Meilen-Strecke hinter sich brachte, ließ ihn daran zweifeln, daß Rick in absehbarer Zeit überhaupt an irgendeinem Marathon teilnehmen würde.
    Seine Bemerkung brachte Rick zum Lächeln. Er war dürr und hatte einen braunen Wuschelkopf, der seine großen Ohren nicht ganz verdecken konnte. Carl hatte mal mitbekommen, wie Tracie ihn einen Chorknaben genannt hatte, und das paßte. Zwar war er dünn und blaß, sah aber aus wie ein Engelchen.
    »Neulich hab’ ich eine Meile geschafft und dabei fünf Minuten gutgemacht«, meinte Rick. »Gar nicht übel für ‘ne lahme Ente.«
    »Hattest du Zeugen?« wollte Carl wissen.
    »Gott allein war mein Zeuge. Hey, hat Tracie dich gestern abend angerufen?«
    Carl zögerte, weil er ein schlechtes Gewissen hatte, nicht zurückgerufen zu haben.
    »Nein«, sagte er.
    »Sie wollte wissen, ob du Lust hast, bei der Schnitzeljagd in unserer Gruppe mitzumachen.«
    »Echt?« fragte Carl.
    Rick merkte sofort, daß Carl nicht interessiert war. Er war ein aufgeweckter Bursche. »Ich finde, wir wären ein gutes Team: Tracie mit ihrem Enthusiasmus, du mit deinem Köpfchen und ich mit meinem guten Aussehen.« Hastig fügte er hinzu. »Paula will auch, daß du dabei bist.«
    Carl schaute beiseite. Er war ein lausiger Lügner, außer wenn es darum ging, sich selbst zu belügen. »Tom sagte was davon, daß ich in ihrer Gruppe bin.«
    »Tom?« hakte Rick nach.
    »Tom Barrett. Mein Freund, du weißt schon.« Es störte ihn, daß die Leute Tom vergessen hatten, seit er wegen seiner Kopfverletzung nicht mehr die große Sportskanone war. Joe hatte niemand vergessen – die ganzen Touchdowns, die er früher hingelegt hatte. Was nicht etwa heißen sollte, daß Joe es nicht verdient gehabt hätte, in Erinnerung zu bleiben.
    »Ach ja, der«, meinte Rick. »Wer ist denn noch in der Gruppe? Wenn’s nur um euch beide geht, könnten wir uns ja vielleicht mit euch zusammentun?«
    »Ich weiß nicht.« Carl hob den Kopf und sah Ricks erwartungsvolles Gesicht vor sich. Er kapierte nicht, warum der Bursche derart zu ihm aufsah, wo doch Ricks IQ doppelt so hoch sein mußte wie seiner. »Wir gucken mal, wenn wir alle in der Schule sind, ja? Vielleicht mache ich ja auch überhaupt nicht mit.«
    »Mußt du arbeiten?«
    Rick lieferte ihm höflich eine Ausrede. »Ja«, sagte Carl. »Hab’ ‘nen Kolbenring-Job zu tun bei ‘nem Sattelschlepper. Dem ist der Motor weggeschmolzen, als er bei uns in die Stadt rein ist.«
    Rick wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. »Kann ich mir vorstellen. Es sollen dreiundvierzig Grad werden heute. Hoffentlich führt uns die Schnitzeljagd ans Wasser.«
    Bei dieser Bemerkung überkam Carl ein Frösteln, obwohl ihm die Sonne, die auf seinen Kopf knallte, das Gefühl gab, ein Streichholz zu sein, das der Himmel anzuzünden versuchte. Es ergab keinen Sinn, daß der Damm in seinem Traum blutiges Wasser ausgespien hatte. Joe hatte keinen Tropfen Blut verloren.
    »Das hoffe ich auch«, sagte Carl ohne Begeisterung.
    Rick verabschiedete sich und machte mit seinem Training weiter. Carl legte einen Gang ein und fuhr über die Ampel, die während ihres Gesprächs auf Grün und dann wieder auf Rot gesprungen war.
    Cessys Haus war ziemlich groß für Express, und es war etwas Besonderes. Auf dem Grundstück stand ein großer Teil der gesamten Bäume des Stadtteils, und als Carl die lange Auffahrt hochfuhr und endlich den Schatten erreichte, erwachten seine Lebensgeister. In dem braunen Holzhaus war er noch nie gewesen, allerdings mit Tom einmal in der Nähe. Cessys Pool war wie ein Unterwassersee: riesig und mit schwarzglänzendem Grund. Carl stellte seinen Wagen ab und ging ohne zu schellen seitlich um das Haus herum. Cessys Eltern waren nie zu Hause.
    Tom war in Tagträumen versunken, und Cessy vergnügte sich lauthals im Pool, als Carl den Hinterhof betrat. Erstaunlicherweise konzentrierte sich seine Aufmerksamkeit zuerst auf Tom. Der hatte die Beine übereinandergeschlagen und saß auf dem weißen Deck am flachen Ende des Pools. So wie sich das Licht vorne auf Toms
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