Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der schwarze Atem Gottes

Der schwarze Atem Gottes

Titel: Der schwarze Atem Gottes
Autoren: Michael Siefener
Vom Netzwerk:
Abgrund der Hölle werfen, aber ich bin ja bei euch. Schluckt herunter; wir müssen gehen.«
     
    Suitbertus steckte noch schnell ein Wurststück unter seine Kutte. »Wegzehrung«, flüsterte er.
     
    Pater Hilarius stand langsam auf; sein enormer Bauch wippte hinter der Tischkante hervor und verblüffte Martin ein weiteres Mal. So ähnlich stellte er sich den heiligen Thomas von Aquin, den Doctor Angelicus vor, für den man damals sogar eine Ausbuchtung in den Refektoriumstisch geschnitten hatte, doch das Gesicht des Paters Hilarius wollte einfach nicht zum Rest seiner Erscheinung passen. Natürlich, der Pater hatte schon schreckliche Dinge gesehen und mehr als einmal mit den Mächten der Hölle gekämpft, was ihn beträchtlich älter aussehen ließ als die zweiundfünfzig Jahre, die er zählte, aber es war etwas an ihm, das Martin einfach nicht verstand. Als der Pater ihn vor Kurzem zu seinem Gesellen im wichtigen und gefährlichen Handwerk der Hexenschnüffelei bestimmt hatte, war ihm gar nicht wohl gewesen, auch wenn er den älteren Mönch fast wie einen Heiligen verehrte und der Umgang mit ihm eine hohe Auszeichnung war, um die ihn viele seiner Mitbrüder beneideten. Doch Martin konnte nicht verleugnen, dass er Angst hatte. Angst vor dem, was der heutige Tag bringen würde.
     
    Und Angst vor Pater Hilarius.
     
      
    Auf dem Weg zum Rathaus, in dem der Zauberer gefangen saß und verhört werden sollte, kamen die drei Mönche am Marktplatz des kleinen Städtchens vorbei. Noch nie hatte Martin ein solch buntes Treiben gesehen. All die Karren, Stände, Waren, das Geschrei der Verkäufer, die umhertollenden Kinder, die Gerüche von Obst, Gemüse und Fischen, die Laute der frei herumlaufenden Schweine, der eingepferchten Lämmer und der gackernden Hühner erfreuten und verwirrten ihn zugleich.
     
    Als sie gestern in Volkach angekommen waren, hatte das Städtchen schon in tiefem Schlaf gelegen, und es war gar nicht einfach gewesen, durch das Tor hineingelassen zu werden. Alles hatte so ruhig gewirkt, so tot. Jetzt dagegen war das Leben mit all seinem Lärm, seiner Buntheit und seinen Aufregungen zurückgekehrt.
     
    Zu lange hatte Martin hinter Klostermauern gesessen, zu lange hatte er die Welt nicht mehr gesehen. Schon als kleines Kind war er von seinen Eltern an der Pforte abgegeben worden, weil sie ihn nicht mehr hatten ernähren können; er hatte sie nie wiedergesehen. So war das Kloster ihm Vater und Mutter geworden, und über der Betrachtung Gottes hatte er die Betrachtung der Welt völlig vergessen. Daher war er froh, als sie endlich in den Laubengang des Rathauses traten und Hilarius gegen das schwere Portal pochte.
     
    Es wurde von einem Büttel geöffnet, der die Geistlichen offenbar schon erwartet hatte. Mit einem tiefen Diener verbeugte er sich vor ihnen und ließ sie wortlos in die hohe Halle eintreten, die Martin an den Kapitelsaal seines Klosters erinnerte. Er bemerkte, dass er sich bereits heftig nach Eberberg zurücksehnte. Dort war die Welt so überschaubar und klar gefügt.
     
    Der Büttel führte die drei Mönche über eine breite Treppe in einen großen Saal, an dessen Stirnwand ein langer Tisch stand. Vor ihm kauerte einsam und verloren wirkend ein einzelner Stuhl wie ein Büßer vor den Augen des Gerechten.
     
    Martin sah sich kurz um. Die Decke bestand aus altersgeschwärzten Balken; an der dem Tisch gegenüberliegenden Wand befand sich ein gleichermaßen geschwärzter, riesiger Kamin, und in den Boden war ein verschlungenes, stark abgetretenes Intarsienmuster eingelassen.
     
    »Der Richter und die Schöffen sowie der Notar werden bald eintreffen«, sagte der Büttel mit einer lächerlich hohen, näselnden Stimme, die beinahe unter der Wichtigkeit der Worte zerquetscht wurde. »Wenn Eure Ehrwürdigkeiten bitte hier Platz nehmen möchten …« Er wies ihnen die drei Außenplätze an der Fensterfront zu.
     
    Zuerst setzte sich Pater Hilarius; er nahm den Stuhl, der sich der Mitte am nächsten befand; ihm folgte wie selbstverständlich Bruder Suitbertus, und für Martin blieb der Außenplatz übrig. Er ließ sich mit einem leisen Seufzer auf dem knarrenden, altersschwachen Stuhl nieder. Gern hätte er einen Blick aus den Fenstern geworfen, die dem Lärm nach zu urteilen auf den Marktplatz hinausgingen, aber ihre grünen Butzen waren so uneben, dass er kaum mehr als Schemen hinter ihnen erkennen konnte.
     
    Jetzt trat das Hohe Gericht ein: ein Richter, der einen pelzbesetzten Umhang trug,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher