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Der Schutzengel

Der Schutzengel

Titel: Der Schutzengel
Autoren: Dean R. Koontz
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Wohnzimmer, Arbeitszimmer, Sprechzimmer und Wartezimmer. »Nach oben«, entschied er dann.
    Im Elternschlafzimmer schaltete der Unbekannte eine Nachttischlampe ein. Er holte den Stuhl mit dem Sitzpolster in Petitpoint-Stickerei vom Toilettentisch und stellte ihn mitten ins Zimmer.
    »Doktor, legen Sie bitte Handschuhe, Mantel und Schal ab.«
    Markwell gehorchte, ließ die Kleidungsstücke zu Boden fallen und setzte sich auf Anweisung des Bewaffneten auf den Stuhl.
    Der Unbekannte legte seine Pistole auf die Kommode und zog aus einer Jackentasche ein zusammengerolltes Seil. Dann griff er hinten unter die Jacke und brachte ein kurzes Messer mit breiter Klinge zum Vorschein, das er offenbar in einer Messerscheide am Gürtel trug. Er zerschnitt das Seil in mehrere Stücke, mit denen er zweifellos vorhatte, Markwell an den Stuhl zu fesseln.
    Der Arzt starrte die Pistole auf der Kommode an und überlegte, wie seine Chancen standen, an die Waffe heranzukommen, bevor der Unbekannte sie erreichen konnte. Dann begegnete er dem Blick der eisblauen Augen des anderen und merkte, daß sein Gegner seine Absicht so klar durchschaute, wie ein Erwachsener eine einfache Kinderlist erkannte.
    Der Blonde lächelte, als wollte er sagen: Los, versuch’s doch!
    Paul Markwell wollte weiterleben. Er blieb stumm und gefügig, während der Eindringling ihm Hände und Füße an den Stuhl fesselte.
    Der Unbekannte, der die Knoten straff, aber nicht schmerzhaft anzog, schien um sein Opfer eigenartig besorgt zu sein. »Ich will Sie nicht knebeln müssen. Sie sind betrunken, und wenn ich Ihnen ein Tuch in den Mund stopfe, könnten Sie sich übergeben müssen und daran ersticken. Deshalb werde ich Ihnen bis zu einem gewissen Punkt vertrauen. Sollten Sie aber um Hilfe rufen, erschieße ich Sie auf der Stelle. Haben Sie verstanden?«
    »Ja.«
    Sobald der Bewaffnete mehr als nur ein paar Worte sprach, machte sich ein vager, sehr schwacher Akzent bemerkbar, den Markwell nicht einordnen konnte. Er neigte dazu, die Endungen mancher Wörter zu verschlucken, und hatte eine nur leicht merkbare kehlige Aussprache.
    Der Unbekannte setzte sich auf die Bettkante und legte eine Hand auf den Telefonhörer. »Welche Nummer hat das County Medical Center?«
    Markwell blinzelte mehrmals. »Weshalb?«
    »Ich habe Sie nach der Nummer gefragt, verdammt noch mal! Wenn Sie sie mir nicht geben wollen, prügele ich sie lieber aus Ihnen heraus, als sie im Telefonbuch nachzuschlagen.«
    Markwell gab ihm eingeschüchtert die Nummer an.
    »Wer hat dort heute Nachtdienst?«
    »Doktor Carlson, Herb Carlson.«
    »Ein brauchbarer Arzt?«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Ist er ein besserer Arzt als Sie – oder auch ein Trinker?«
    »Ich bin kein Trinker. Ich habe …«
    »Sie sind ein verantwortungsloser, von Selbstmitleid triefender Säufer, das wissen Sie recht gut! Beantworten Sie meine Frage, Doktor. Ist Carlson zuverlässig?«
    Markwells plötzliche Übelkeit war nur zum Teil auf den vielen Scotch zurückzuführen, den er getrunken hatte; die zweite Ursache war sein Ekel vor der Wahrheit, die der Eindringling ausgesprochen hatte. »Ja, Herb Carlson taugt was. Er ist ein sehr guter Arzt.«
    »Welche Oberschwester hat heute nacht Dienst?«
    Markwell mußte kurz überlegen. »Ella Hanlow, glaube ich. Aber ich bin nicht sicher. Sonst ist’s Virginia Keene.«
    Der Unbekannte rief das Krankenhaus an, gab vor, in Dr. Paul Markwells Auftrag zu sprechen, und verlangte Ella Hanlow.
    Ein heftiger Windstoß traf das Haus, pfiff um den Giebel, ließ ein nicht ganz dicht schließendes Fenster klappern und brachte Markwell wieder den Sturm in Erinnerung. Während er durchs Fenster die rasch fallenden Schneeflocken beobachtete, fühlte er sich für kurze Zeit erneut desorientiert. Diese Nacht war so ereignisreich – wegen der Blitze, wegen des geheimnisvollen Eindringlings –, daß sie ihm plötzlich unwirklich vorkam. Er zerrte an den Stricken, die ihn an den Stuhl fesselten, erwartete, daß sie, als Produkt eines Whiskytraums, sogleich wie Spinnweben zerreißen würden. Aber sie hielten, und die Anstrengung machte ihn wieder schwindlig.
    »Oberschwester Hanlow?« fragte der Unbekannte am Telefon. »Doktor Markwell kann heute nacht nicht ins Krankenhaus kommen. Eine seiner Patientinnen – Janet Shane – steht dort vor einer schwierigen Entbindung. Hmmmm? Ja, natürlich. Er möchte, daß Doktor Carlson ihn vertritt. Nein, nein, ich fürchte, daß er unmöglich kommen kann. Nein, nicht wegen
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