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Der schüchterne Junggeselle

Der schüchterne Junggeselle

Titel: Der schüchterne Junggeselle
Autoren: P. G. Wodehouse
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Liebe.«
    Dieses Wort schien eine verborgene Saite in George Finch zu berühren. Die strenge, steife Miene verschwand von seinem Gesicht, und er sah seinen Diener fast schmelzend an.
    »Mullett! Lieben Sie?«
    »Ja, tatsächlich, Sir. Fanny heißt sie, Sir. Fanny Welsh. Sie ist Taschendiebin.«
    »Taschendiebin!«
    »Jawohl, Sir. Eines der geschicktesten Mädels in dieser Branche. Wenn sie Ihnen die Uhr aus der Westentasche stiehlt, würden Sie bereit sein, tausend Eide darauf zu schwören, daß sie Ihnen nicht auf einen Meter nahe gekommen ist. Es grenzt an Kunst, Sir. Aber sie hat mir versprochen, ehrlich zu werden, wenn ich will, und ich bin jetzt dabei, für die Möbel zu sparen. Ich hoffe also, Sir, daß Sie es sich doch noch überlegen. Es würde mich ganz zurückwerfen, wenn ich gerade jetzt meine Stellung verlieren würde.«
    George runzelte die Stirn.
    »Ich sollte es nicht tun.«
    »Aber Sie werden es tun, Sir?«
    »Aus Schwäche.«
    »Nein, Sir. Aus Christlichkeit, sage ich.«
    George überlegte.
    »Wie lange sind Sie jetzt bei mir, Mullett?«
    »Gerade einen Monat, Sir.«
    »Und meine Hemdperlen sind noch da?«
    »Liegen noch in der Schublade, Sir.«
    »Gut, Mullett. Sie können bleiben.«
    »Ich danke Ihnen tausendmal, Sir.«
    Es herrschte Schweigen. Die untergehende Sonne wob einen goldenen Teppich über das Dach. Es war die Stunde, um welche die Menschen ihr Herz öffnen.
    »Die Liebe ist etwas Wunderbares, Mullett!« sagte George Finch.
    »Ich sage immer, Sir, sie dreht das Rad der Welt.«
    »Mullett.«
    »Sir?«
    »Soll ich Ihnen etwas erzählen?«
    »Wenn Sie wünschen, Sir.«
    »Mullett«, sagte George Finch, »auch ich liebe.«
    »Sie überraschen mich, Sir.«
    »Sie haben vielleicht bemerkt, daß ich in der letzten Zeit Geschichten mit dem Ankleiden mache, Mullett?«
    »O nein, Sir.«
    »Doch; und jetzt wissen Sie, warum. Sie wohnt in der Neunundsiebzigsten Straße, Osten. Das erstemal sah ich sie mit einer Frau, die mich an Katharina die Große erinnerte. Sicherlich ihre Mutter.«
    »Sehr leicht möglich, Sir.«
    »Ich bin ihr bis zu ihrem Haus nachgegangen. Ich weiß nicht, warum ich Ihnen das erzähle, Mullett.«
    »Nein, Sir.«
    »Seitdem war ich oft vor ihrem Haus. Kennen Sie die Neunundsiebzigste Straße?«
    »Ich war nie dort, Sir.«
    »Ja, glücklicherweise ist es keine große Verkehrsstraße, sonst hätte man mich wohl wegen Herumtreiberei arretiert. Bis heute hatte ich noch nie mit ihr gesprochen, Mullett.«
    »Aber heute haben Sie mit ihr gesprochen, Sir?«
    »Ja. Oder eigentlich, sie hat mit mir gesprochen. Ihre Stimme gleicht dem Flöten junger Vögelchen im Lenz, Mullett.«
    »Sicherlich sehr angenehm, Sir.«
    »Himmlisch ist ein richtigerer Ausdruck dafür. Die Sache kam so, Mullet. Ich war draußen vor dem Haus, und da kam sie mit einem Scotchterrier an der Leine heraus. In diesem Augenblick riß mir ein Windstoß den Hut vom Kopf und trieb ihn an mir vorüber; und sie hielt ihn auf. Sie trat darauf, Mullett!«
    »Wirklich, Sir?«
    »Ja, auf diesen Hut, den Sie in meiner Hand sehen, trat Sie. Auf diesen selben Hut.«
    »Und dann, Sir?«
    »In der Aufregung ließ sie die Leine fahren, und der Scotchterrier rannte um die Ecke davon, auf Brooklyn zu. Ich lief ihm nach, und drei Straßen weiter gelang es mir, ihn zu fassen. Mein Hut fiel ein zweites Mal hinunter und wurde von einer Taxe überfahren. Aber ich hielt die Leine fest und lieferte den Hund schließlich wieder bei seiner Herrin ab. Sie sagte – geben Sie genau acht, Mullett –, sie sagte: ›Oh, ich danke Ihnen vielmals!‹«
    »Ach, wirklich, Sir?«
    »Jawohl. Nicht bloß ›danke!‹ oder ›Oh, danke!‹, sondern ›Oh, ich danke Ihnen vielmals!‹« George Finch blickte seinen Diener durchbohrend an. »Ich halte das für sehr bedeutsam, Mullett.«
    »Ganz entschieden, Sir.«
    »Wenn sie den Wunsch gehabt hätte, daß die Bekanntschaft sofort ihr Ende findet, hätte sie dann so warm gesprochen?«
    »Ausgeschlossen, Sir.«
    »Und ich habe Ihnen noch gar nicht alles erzählt. Als sie gesagt hatte: ›Oh, ich danke Ihnen vielmals!‹ fügte sie noch hinzu: ›Er ist doch wirklich ein ungezogener Hund, nicht?‹ Verstehen Sie die außerordentliche Feinheit, die darin liegt, Mullett? Die Worte: ›Er ist ein ungezogener Hund‹ wären nichts weiter als eine Feststellung gewesen. Dadurch, daß sie hinzugefügt hat: ›Nicht?‹ hat sie nach meiner Ansicht gefragt. Sie hat mir damit zu verstehen gegeben, daß ihr eine
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