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Der schüchterne Junggeselle

Der schüchterne Junggeselle

Titel: Der schüchterne Junggeselle
Autoren: P. G. Wodehouse
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großen Denker mit hündischer Ergebenheit an und machte sich dann, seinen Bleistift leckend, an die Arbeit.
    Hamilton Beamish wandte sich auf seinen geräuschlosen Gummiabsätzen um und verschwand durch die Tür des Treppenhauses.
3
    Als er gegangen war, herrschte einige Minuten Schweigen auf dem Dach des Sheridan-Hauses. Mullett fegte wieder, und Wachtmeister Garroway kritzelte eifrig in seinem Notizbuch. Ungefähr nach einer Viertelstunde schien er zur Ansicht zu kommen, er hätte alles beobachtet, was zu sehen sei, versorgte Buch und Bleistift in seiner Uniform und ging auf Mullett zu, um ihn einer sanften, aber genauen Musterung zu unterziehen.
    »Ich bin fest davon überzeugt, Mr. Mullett«, sagte er, »daß ich Ihr Gesicht schon gesehen haben muß.«
    »Und ich sage Ihnen nein«, antwortete der Diener eigensinnig.
    »Vielleicht haben Sie einen Bruder, der Ihnen ähnlich sieht?«
    »Dutzende. Nicht einmal Mutter konnte uns unterscheiden.«
    Der Polizist seufzte.
    »Ich bin eine Waise«, sagte er, »ich habe weder Bruder noch Schwester.«
    »Das ist aber schade.«
    »Düster«, verbesserte der Polizist. »Sehr düster und bitter. Meinen Sie nicht, Mr. Mullett, daß ich vielleicht irgendwo ein Bild von Ihnen gesehen habe?«
    »Ich habe mich seit Jahren nicht aufnehmen lassen.«
    »Merkwürdig!« sagte Wachtmeister Garroway. »Irgendwie – ich weiß selber nicht, warum – bringe ich Ihr Gesicht mit einer Fotografie in Zusammenhang.«
    »Sie haben heute wohl nicht viel zu tun, was?« fragte Mullett.
    »Ich bin im Augenblick dienstfrei. Ich glaube eine Fotografie zu sehen – mehrere Fotografien – in einer Art Sammlung …«
    Mullett war die Unterhaltung mittlerweile entschieden peinlich geworden. Sein Aussehen ließ an einen Menschen denken, der eine Lieblingstante in irgendeinem Nest hat und wegen ihres Asthmas schwer bekümmert ist. Er wollte sich schon davonmachen, als ein junger Mann in taubengrauem Anzug auf das Dach kam und rief: »Mullett!«
    Der Diener eilte dankbar zu ihm und ließ den Wachtmeister stehen, der nachdenklich seine umfangreichen Füße anstarrte.
    »Jawohl, Mr. Finch?«
    George sah so aus, wie er war: ein netter, junger Mann, von der Art, wie man sie überall herumlaufen sieht. Er war zart und schlank und hatte ein angenehmes, unbedeutendes Gesicht. Seine Augen, die in manchen Augenblicken aussehen konnten, als gehörten sie einem erschrockenen Schaf, waren braun, sein Haar von heller Kastanienfarbe. Dies war deutlich zu sehen, weil er seinen Hut in der Hand hielt.
    Er trug ihn, wie etwas besonders Wertvolles, mit großer Ehrfurcht, was absonderlich wirkte, weil dieser Gegenstand nicht gerade schön aussah. Er war es vielleicht einmal gewesen, aber jetzt sah er aus, als ob jemand auf ihm herumgetrampelt und ihn mit Fußtritten regaliert hätte.
    »Mullett«, sagte George Finch, die Ruine mit verträumten Blicken betrachtend, »nehmen Sie diesen Hut und heben Sie ihn gut auf.«
    »Soll er nicht fortgeworfen werden?«
    »Um Himmels willen, nein! Heben Sie ihn auf – sehr sorgfältig. Haben Sie Seidenpapier?«
    »Jawohl, Sir.«
    »Packen Sie ihn ganz vorsichtig in Seidenpapier und legen Sie ihn auf den Tisch im Wohnzimmer.«
    »Sehr wohl, Sir.«
    »Entschuldigen Sie, daß ich störe, Mr. Finch«, meldete sich jetzt eine bittende Stimme, »dürfte ich einen Bruchteil Ihrer kostbaren Zeit in Anspruch nehmen?«
    Wachtmeister Garroway war verlegen und schüchtern näher gekommen.
    »Verzeihen Sie die Störung«, wiederholte er.
    »Keine Ursache«, sagte George.
    »Ich bin Polizist.«
    »Das sehe ich.«
    »Und ich fürchte«, fuhr Wachtmeister Garroway traurig fort, »daß ich eine ziemlich unangenehme Aufgabe durchzuführen habe. Ich würde es gern vermeiden, wenn ich es mit meinem Gewissen vereinbaren könnte, aber Pflicht ist Pflicht. Es gehört eben zu den Unannehmlichkeiten im Leben des Polizisten, daß es ihm oft so schwer gemacht wird, sich wie ein Gentleman zu benehmen.«
    »Sicherlich«, sagte George.
    Mullett schluckte und sah wieder bekümmert aus.
    Wachtmeister Garroway betrachtete ihn mit sanfter Trauer im Blick.
    »Ich möchte meiner Feststellung vorausschicken«, sprach er weiter, »daß ich keine persönliche Antipathie gegen Mr. Mullett hege. In meiner kurzen Bekanntschaft mit Mr. Mullett ist mir nichts aufgefallen, was mich daran zweifeln lassen könnte, daß er ein angenehmer Gesellschafter und pflichteifriger Mensch ist. Trotzdem halte ich es für richtig, Sie darauf
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