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Der Schreiber von Córdoba

Der Schreiber von Córdoba

Titel: Der Schreiber von Córdoba
Autoren: Melanie Little
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mir,
    waren schlimmer – viel schlimmer –
    als diejenigen, die ich erlebt habe.
    Damals wütete die Pest, der Schwarze Tod.
    Ein Drittel aller Bewohner Europas starb
    an dieser Krankheit.
    Es wurde mit Fingern gezeigt.
    Die Juden, so hieß es,
    hätten die Brunnen vergiftet.
    Nicht alle wurden getötet. Viele Juden beschlossen,
    sich taufen zu lassen, um sich zu retten.
    Andere wurden von der Menge festgehalten
    und einfach getauft, ganz egal,
    was sie wollten.
    Also wurden Mamas Vorfahren Christen.
    Selbst ihr Familienname wurde geändert.
    Und Papas? Mein Papa spricht nur
    von Gutem – oder soll ich sagen, Großem?
    Dass mein Ururgroßvater
    ein ganz großer Schreiber war.
    Dass er Hebräisch und Arabisch sprach und schrieb,
    nicht einfach nur fließend, sondern mit Schliff.
    Als sein Leben endete, hatte er
    einem Kalifen und einem König gedient.
    Es endete zu früh.
    Mama hat es mir gesagt.
    Statt der Taufe wählte mein Ururgroßvater
    den Tod.
    Er nahm sich das Leben,
    zusammen mit seiner Frau.
    Welcher dieser großen Vorfahren
    hat also die bessere Wahl getroffen?
      
    Der Hausherr
    Señor Ortiz
    ist für eine Weile zu Hause.
    Ich weiß es wegen des Stampfens,
    das durch die Decke dringt, den ganzen Tag
    und die ganze Nacht.
    Er verhält sich, sagt Mama,
    als hätte er Schuld auf sich geladen.
    Als behielte er seine Stiefel an,
    für den Fall, dass er weglaufen muss.
    Wovor?, frage ich sie.
    Aber Papa sagt: »Rahel, sei still.
    Wie finden wir es,
    wenn Leute dummes Zeug
    über uns reden?«
      
    Der Gast
    Einmal in der Woche – wenn er hier ist –
    geruht Señor Ortiz, zum Essen zu uns
    herunterzukommen. Die Mahlzeit ist bescheiden,
    aber das stört ihn nicht.
    Er isst seinen Teller jedes Mal leer.
    Ich hungere nach Geschichten von Abenteuern und Schiffen
    und exotischen Ländern. Señor Ortiz
    segelt an der Küste des Reiches entlang,
    und verkauft kostbare Seidenstoffe aus dem Orient.
    Aber unserem Hausherrn missfallen
    meine unermüdlichen Fragen.
    Er gehört zu den Leuten, die denken,
    Kinderstimmen
    seien Gott lästig.
    Sooft er kommt, müssen wir Schweinefleisch essen.
    Ich hasse es.
    Aber es ist das Gericht der Wahl,
    wenn wir Gäste haben.
    Schweinefleisch essen ist ein Zeichen.
    Es bedeutet, dass du deinen jüdischen Glauben
    hinter dir gelassen hast.
    Daher müssen gute Christen zeigen,
    dass sie nicht genug davon bekommen können –
    ob sie Schweinefleisch mögen oder nicht.
      
    Glaubensedikt
    Heute nach der heiligen Messe
    wurden wir aufgefordert,
    noch einmal unseren Glauben zu beschwören.
    Zum dritten Mal in diesem Jahr.
    Ein riesiges Kruzifix wurde
    von zwei Priestern hoch in die Luft gestemmt.
    Wir bekreuzigten uns, hoben unsere
    rechte Hand. Schworen, das Heilige Offizium
    zu unterstützen und hochzuhalten – und ebenso seine Vertreter auf Erden,
    die Inquisitoren.
    Wie, so fragt ihr vielleicht, soll ein gewöhnlicher Junge wie ich
    das Offizium »hochhalten«?
    Ganz einfach. Alles ist schon beschrieben
    im Glaubensedikt.
    Sie lesen es uns vor,
    sooft sich die Gelegenheit bietet.
    Es ist ellenlang.
    Es handelt von Verfehlungen, die dich
    das Leben kosten können.
    Und doch schlafen sogar Männer dabei ein!
    Ich kann das Edikt zusammenfassen
    in einem Wort: beobachten.
    Nachbar, beobachte deinen Nachbarn.
    Freund, bespitzele deinen Freund.
    Wenn einer von uns in die Irre geht,
    leiden wir alle.
    Was also tun?
    Es der Mutter Kirche sagen.
    Dein armer Kopf braucht sich nicht
    um Beweise zu sorgen.
    Wir werden dir glauben.
    Ketzerei ist eine Pest,
    und sie breitet sich in den Seelen der Menschen aus
    wie ein Feuer im Stroh.
    Übersieh nicht die kleinen Dinge.
    Zieht sich dein Bruder gegen Ende der Woche
    frische Wäsche an? Das ist ein Zeichen.
    Er achtet den Sabbat am Samstag:
    den heiligen Tag der Juden.
    Will deine Schwester kein Schweinefleisch essen?
    Das ist ein Zeichen. Sie befolgt die alten
    jüdischen Speisegesetze.
    Kreuzt dein Vetter die Finger hinter seinem Rücken,
    während er Gott preist? Spuckt er während der heiligen Messe
    auf den Boden? Scheint er zu lächeln, wenn die Heilige Jungfrau
    – in Gestalt einer Statue – vorbeikommt?
    Zeichen, Zeichen, Zeichen.
    Die Seelen dieser Menschen rufen nach Hilfe.
    Du musst sie retten.
    Lieber hier auf Erden verbrennen,
    als ewig dem Höllenfeuer anheimzufallen.
      
    Auftrag
    Schweins füße diesmal.
    Ich dachte, das Abendessen
    geht nie vorbei!
    Endlich sind die Teller leer,
    der Tisch wird abgeräumt.
    Papa holt das eine
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