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Der Schreiber von Córdoba

Der Schreiber von Córdoba

Titel: Der Schreiber von Córdoba
Autoren: Melanie Little
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davon verbittert Papa.
    Bücher sind Schätze, sagt er mir.
    Aber ihr Leben ist zerbrechlich –
    zerbrechlicher als die Flügel
    getrockneter Schmetterlinge.
    Bücher haben drei Feinde,
    die zu den gefährlichsten der Erde zählen:
    Feuer, Wasser und ignorante Menschen.
    (Auch Würmer sind schlimm,
    aber sie arbeiten langsamer.)
     
    Dennoch sind Bücher die edelsten Schätze von allen.
    Nur einmal brauchen sie deine Augen
    und dein Herz zu entzücken.
    Dann bist du von ihrer Weisheit erfüllt
    für immer.
      
    Katzen
    Die Welt könnte in Flammen aufgehen
    oder rosa werden oder untergehen:
    Mama und ich würden es
    verschlafen.
    Wir sind wie Katzen in der Sonne.
    Wir stehen nicht auf.
    Erst wenn wir uns über unsere
    Schalen mit heißer Schokolade
    und sahniger Ziegenmilch beugen können.
    Papa macht Frühstück
    und kehrt dann zu seinen Büchern zurück.
    Er schüttelt den Kopf,
    traurig für uns, wenn er geht.
    Ich denke, sie ist ein Segen,
    diese Gabe, tief zu schlafen.
    In Córdoba ist jede Straße
    mit Kirchen und Kapellen gespickt.
    Ihr Läuten ist wie ein Würgehalsband
    aus endlosen Perlenschnüren,
    die sich ineinanderschlingen.
    Jede Kirche hat eine Glocke,
    die achtmal am Tag läutet.
    Zur Matutin in der Morgendämmerung, zur Laudes
    ein wenig später, zur Vesper
    tief in der Schwärze der Nacht.
    Es gibt noch mehr Namen, die ich
    immer wieder vergesse. Papa sagt, sie bezeichnen
    die Stunden, zu denen die Mönche beten müssen.
    Aber ich denke, sie sind eine Art Folter,
    die die Kirche ersonnen hat. Oder aber
    sie läuten jedes Mal, wenn
    ein von Flöhen zerbissener Mönch
    sich am Kopf kratzt!
      
    Angst
    Eines noch dunklen Morgens wache ich doch auf.
    Ein Mann wie ein Berg
    reißt mir die Matratze
    unter dem Rücken weg.
    Er ist ein Spiegelbild der Soldaten,
    die durch meine Träume reiten.
    An seiner Seite das Schwert. Auf seinem Mantel
    der Löwe und die Burg – die Zeichen unserer
    guten Königin und unseres guten Königs.
    Der Sonderrichter, sagt Papa.
    Einem Dieb auf der Spur,
    der seinem Zugriff entschlüpft ist.
    Was ist so kostbar,
    dass sie das Gefühl haben, sie müssten
    halbwüchsige Jungen aus ihren Betten schütteln?
    Mama ist ärgerlich. Auch sie wurde aufgeweckt.
    Dann schaue ich hin. Sie ist es,
    die statt meiner zittert.
      
    Gerechtigkeit
    Tage später erfahren wir es.
    Sie suchten tatsächlich einen Jungen.
    Viel jünger als ich.
    Noch keine zehn.
    Er brannte mit einem Kelch durch,
    der vergoldet war.
    Nur eine magere Beute.
    Aber er wurde erhängt.
    Er litt Hunger. War Waise.
    Er versuchte, den Kelch gegen Kuchen zu tauschen,
    in einer Stadt weiter südlich.
    Er hatte noch eine Schwester,
    und sie fanden nichts zu essen.
    Die Königin empfahl Gnade,
    in Anbetracht seines Alters.
    Aber der Junge war Jude.
    Und ehe sie es verhindern konnte,
    wurde er von den Männern des Sonderrichters
    aufgeknüpft. Alle, die durch das
    Jakobstor kamen, konnten ihn dort sehen.
    Neben ihm stand der Spruch:
    et iustum est.
    Es ist gerecht.
    Als ich das höre,
    denke ich wieder an die Hand,
    die unter mein Bett kroch.
    Und diesmal fällt mir das Schlafen
    nicht leicht. Noch im Morgengrauen liege ich da
    und zähle stattdessen Schafe.
      
    Geständnis
    Die meisten Juden verließen diese Stadt
    vor zehn Jahren.
    Die Königin machte ein Gesetz:
    Jeder Jude in al-Andalus
    muss sich taufen lassen
    oder fortgehen. Dann folgten die
    zwei kleinen Worte, die Königinnen so lieben:
    bei Todesstrafe .
    Die wenigen, die ihr trotzen,
    verstecken sich in Kellern und Nischen
    und Höhlen unter der Erde.
    Ich bin eigentlich gar nicht da. Sie sind
    schattenhafter als Geister.
    Die Priester sagen, die Juden
    glauben nicht, dass Christus Gott ist,
    deshalb sind sie unsere Feinde.
    Sie sind noch auf dieser Erde, um
    uns zu erinnern, warum Christen besser sind.
    Wir müssen sie meiden,
    wie wir die Pest meiden würden.
    Mama sagt mir, alle Seelen sind gleich,
    wenigstens in den Augen Gottes.
    Dann sagt sie, es sei Ketzerei,
    mit Priestern zu streiten.
    Bezweifelt ihr da, dass ich verwirrt bin?
    Ich weiß nur so viel:
    Früher waren wir Juden.
      
    Taufen
    Wenn eine neue Glocke gegossen
    und in ihrem Turm hochgezogen wird,
    wird sie getauft wie ein Kind.
    Der Bischof salbt sie
    mit heiligem Öl. Dann gießt er Weihwasser
    über ihr metallenes Haupt.
    Meine Ururgroßeltern
    wurden gleichfalls getauft.
    Sie hatten ebenso viel Wahlfreiheit
    wie eine von diesen Glocken.
    Die Unruhen in ihren Tagen, so sagt man
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