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Der Schreiber von Córdoba

Der Schreiber von Córdoba

Titel: Der Schreiber von Córdoba
Autoren: Melanie Little
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des Hauses.
    Es ist ein schönes Haus, müsst ihr wissen:
    so stattlich wie alle in unserer Straße.
    Aber es gehört uns nicht mehr.
    Als die Altchristen
    uns aus Córdoba vertrieben, sagte Papa:
    »Wir haben keine Wahl.«
    Er wusste von einem Ort namens Gibraltar.
    Wir verkauften unser schönes Haus und liefen
    um unser Leben.
    Als wir zurückkehrten,
    stand das Haus noch.
    Wir hatten Glück –
    es waren nur noch wenige in unserem Viertel.
    Aber es war auch der Mann noch da,
    der es gekauft hatte.
    Er wollte es uns nicht wiederverkaufen –
    schon gar nicht für die paar Kröten, die er bezahlt hatte.
    Aber er vermietet uns
    diese vier kleinen Zimmer
    – unsere Werkstatt mit eingerechnet –
    zu einem anständigen Preis.
    Sollten wir, frage ich mich,
    Gott danken
    für diesen Segen?
      
    Warum?
    Während der Unruhen
    griff die ganze Stadt
    das Viertel der Neuchristen an.
    Hunderte von Conversos
    – Menschen wie wir – wurden getilgt
    vom Antlitz der Erde.
    Ich war erst vier. Mama erzählt mir,
    wir seien auf der Flucht aus Córdoba nur nachts
    unterwegs gewesen. Am Tag versteckten wir uns.
    Wer blieb und standhielt, wurde angegriffen.
    Mit Knüppeln geschlagen.
    Mit Fäusten und Steinen.
    Ein Mann, von dem wir hörten,
    wurde von einem Karren mitgeschleift, bis er tot war.
    Warum also wiederkommen?
    Gute Frage.
    Wir blieben nur sechs Monate
    in Gibraltar.
    Mama sagt bloß:
    »Es ging nicht.«
    Es muss schlimm gewesen sein,
    wenn es schlimmer war als hier.
    Jetzt sind wir nur noch Diener
    in unserem eigenen Haus.
      
    Fell
    Es ist seltsam.
    Ich erinnere mich noch an ein Erlebnis
    während der Unruhen – so lebendig,
    als hätte ich es heute Morgen gehabt
    und nicht vor zehn Jahren.
    Ich bin bedeckt von weichem, warmem Fell.
    Ich denke, dass jemand – ein Altchrist, der zaubern kann? –
    mich vielleicht
    in ein Kaninchen verwandelt hat.
    Das erzähle ich jetzt Mama,
    mit brennendem Gesicht. Ich bin fünfzehn!
    Und dann so ein Babykram,
    an den ich mich zu erinnern glaube.
    Aber die Sache geht mir nicht aus dem Kopf.
    Sie starrt mich mit offenem Mund an.
    »Isidor«, ruft sie,
    »komm her und hör dir das an.«
    Papa gesellt sich zu uns.
    Mama erzählt mir, was damals geschah.
    Eine Dame, Altchristin,
    sah uns von ihrem Fenster aus.
    Wir kauerten in einem Graben.
    Tapfere Seele, sie kam heraus.
    »Folgt mir«, flüsterte sie.
    Sie versteckte uns in einem riesigen Kleiderkoffer,
    den ganzen Tag, ließ ihn einen Spalt offen,
    damit wir Luft bekamen.
    Ich erinnere mich nur noch
    an das Gefühl von Fell.
    Sie schütteln die Köpfe.
    »Ist es nicht – beinahe – lustig?«, fragt Papa.
    »In ein Kaninchen verwandelt!«
    Wir sitzen da und starren
    einander an.
    Das Lachen bleibt aus.
      
    Die Schreiber in ihren Werkstätten
    Nicht jeder Schreiber
    lebt in einer so kleinen Welt.
    Manche Bücher werden
    von einem ganzen Heer von Händen gemacht.
    Ich habe von einer Bibel gehört, in Latein,
    für die dreiundfünfzig Meister einen
    ganzen Winter gebraucht haben. (Sie war für die Königin.)
    Zehn Buchmaler haben
    allein die verzierten Buchstaben
    gezeichnet und mit Goldtinte ausgefüllt,
    mit denen jede Seite beginnt.
    Ich beklage mich nicht.
    Ich habe gelernt, es so zu mögen.
    Papa und ich, über unsere Pulte gebeugt.
    Wir teilen die Werkzeuge, sprechen dieselbe Sprache
    und haben einen gemeinsamen Feind: den Sonnenuntergang.
    Mama kann nicht richtig lesen,
    aber sie hilft.
    Schrappt das Pergament mit einem Stein,
    damit es geschmeidig und weich ist für unsere Tinte.
    Manchmal zieht sie die Linien
    für unsere Buchstaben. Ihre Hand zittert nie.
    Ein stiller Kampftrupp von drei Personen: Papa, Mama und ich.
    Sechs Tage in der Woche, ich liebe es.
    Aber ein Teil von mir – vielleicht der Teil des siebten Tages –
    träumt von einem ganz anderen Leben.
    Von Rittern und Entdeckungsreisenden
    und wie in aller Welt
    ich je einer werden könnte.
      
    Bücherwurm
    Papa liebt nicht nur
    das Auf und Ab, Hin und Her im Schwung
    des Wörterabschreibens.
    Jeden Morgen ist er schon
    lang vor den Vögeln auf
    und bohrt seine Augen in Bücher.
    Er muss jede Seite lesen,
    ehe sie abgeschrieben wird.
    Wenn wir mit dem Buch fertig sind,
    segelt es wieder zur Tür hinaus –
    und aus unserem Leben.
    Selbst zehn Jahre nach den Zeiten
    – wie wir die Unruhen nennen –
    läuft das Geschäft nicht wie früher, sagt Mama.
    Zwar sind unsere Tage randvoll mit Wörtern,
    aber eigene Bücher können wir uns nicht leisten.
    Nichts
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