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Der Schneider himmlischer Hosen

Der Schneider himmlischer Hosen

Titel: Der Schneider himmlischer Hosen
Autoren: Daniele Varè
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unangenehmste Wind bläst von Norden. Vielleicht ist dies der Grund, warum in Peking der Norden als unheilvoll gilt. Paläste, Tempel und Häuser liegen stets mit der Front gegen Süden.
    Mein Wohnviertel ist sehr still, weit weg von der Stadtmitte und den verschiedenen Sehenswürdigkeiten, die die Fremden anlocken. Die wenigen Freunde, die mich besuchen, klagen über die große Entfernung und fragen mich, warum ich keinen zivilisierteren Stadtteil gewählt hätte. Damit meinen sie jenes Viertel Pekings, das mit westlich gebauten Häusern, Kinos und Apotheken prunkt.
    Fast alle Häuser meiner Umgebung sind im altchinesischen Stil gebaut; abgesehen davon, daß in einigen Fenstern das Reispapier durch Glasscheiben ersetzt wurde, hat sich seit dem Sturz der Ming-Dynastie nur wenig geändert. Das junge China mit seinen Mauserpistolen und Minderwertigkeitskomplexen ist in diesen vergessenen Winkel der alten Kaiserstadt noch kaum eingedrungen.
    Die einzelnen Gebäude, aus denen mein Wohnsitz besteht, nehmen eine große Fläche ein, enthalten aber nicht viele Zimmer. Das Haus gliedert sich in einstöckige, durch Gänge miteinander verbundene Pavillons. Die Gänge sind auf beiden Seiten offen wie Pergolas und kaum mehr als gepflasterte Wege, etwa einen Meter hoch über dem Erdboden; schräge Dächer, die auf rotlackierten Säulen ruhen, schützen sie vor der Witterung.
    Der Höfe sind vier, und sie sind mit Steinen gepflastert. Im Sommer werden sie meistens mit Matten überspannt, die man über ein Gerüst aus hölzernen Pfeilern breitet. Dieses Aushilfsdach hält die Höfe kühl.
    Hinter dem letzten Pavillon — den ich als Arbeitszimmer benütze — liegt ein Garten mit einem künstlichen Hügelchen, das von einem kleinen Kiosk gekrönt wird. Auch einen Teich gibt es dort mit einer kleinen Marmorbrücke, die geschwungen ist gleich dem Höcker eines Kamels; alles in Miniaturgröße wie die Malerei auf einem Fächer.
    In jedem Hof stehen vier Pinien, in jeder Ecke feierlich eine. Ende Juni stellt der Gärtner Töpfe mit Lotosblumen vor die Türen der Pavillons, und auch der Teich bedeckt sich mit den samtenen Blättern und rosa Blüten des Lotos. Manchmal schütte ich zum Spaß ein paar Löffel Tee in die Lotosblüten, knapp ehe sie sich des Abends schließen. Am Morgen hole ich den Tee wieder sorgsam heraus, und dann duftet er durch und durch nach Lotos.
    Ein Hirsch und ein Reiher aus Bronze leisten einander in Lebensgröße auf einer Terrasse vor dem ersten Pavillon stumm Gesellschaft. Und ein bronzenes Weihrauchgefäß auf marmornem Postament erinnert an die Zeit, da dieses Haus noch ein Tempel war und einmal in jedem Jahr in ihm und ringsherum ein Jahrmarkt abgehalten wurde, zu Ehren der beiden Tatarengeneräle, die als Schutzgottheiten des Shuang Lié Ssè und seiner Umgebung galten. An windstillen Sommerabenden entzünde ich zuweilen ein Bündel Weihrauchstäbchen, wie man sie vor den Tempeltoren zu kaufen bekommt, und werfe sie in das Weihrauchgefäß. Vom Grunde des Beckens steigt bis zu Menschenhöhe eine weiße, duftende Wolke, und es sieht aus, als ruhten die Pavillons und die Lacksäulen ringsum auf Weihrauchgewölk, beschworen gleichsam von den Dschinns in «Tausendundeiner Nacht». Und dann male ich mir aus, wie sich die beiden alten Krieger an meinem Opfer freuen, und daß ihre Seelen wiederkehren, um ihr altes Heiligtum zu besuchen.
    Zwei Marmorstelen sind ihnen geweiht; sie stehen in einem eigenen kleinen Pavillon im zweiten Hof und ruhen auf dem Rücken von Schildkröten mit Löwenhäuptern.
    Einer der beiden Generäle hieß Mei-ti und hatte einen Sohn, einen wunderschönen Knaben, den der Kaiser liebte wie Hadrian den Antinous. Aber seinen Orgien zuliebe vernachlässigte der Kaiser die Staatsgeschäfte und verlor an Ansehen. Mei-ti warnte, doch die Warnung fand kein Gehör. Da vergoß er heiße Tränen und erhob Klage — in genauer Befolgung der Riten —, und dann tötete Mei-ti seinen eigenen Sohn.
    So ward das Spielzeug vernichtet, das den Kaiser zuviel Zeit gekostet.
     
     
     

3
     
    Die Pförtnerwohnung — zwei kleine Zimmer neben dem Eingang — wird vom K’ai-men-ti und dem Tingchai bewohnt.
    Das Wort K’ai-men-ti bedeutet etwa soviel wie «Hüter der Tore». Ich kann mit diesem Würdigen nur wenig anfangen, aber er nimmt eine bedeutsame Stellung im Hause ein: denn von allem, was geliefert wird, erhebt er eine Steuer; das Erträgnis teilen dann die Boys untereinander. Wahrscheinlich muß auch
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