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Der Schneider himmlischer Hosen

Der Schneider himmlischer Hosen

Titel: Der Schneider himmlischer Hosen
Autoren: Daniele Varè
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Botschaft vom Obereunuchen, das eine Löwenpaar sollte vor dem Eingang zum Shuang Lié Ssè aufgestellt werden (so hieß mein Haus damals), das andere dagegen im Hofe eines Mandschupalastes in der Weststadt.
    Die Übersiedlung wurde ordnungsgemäß durchgeführt. Aber die vier Löwen, die miteinander groß geworden waren, kränkten sich sehr über die Trennung. Wie die Puppen in der «Puppenfee» — die mitternachts lebendig werden und tanzen — machten sie einander fortan in aller Heimlichkeit Besuche und wählten hierfür stets finstere, stürmische Nächte. Zu jener Zeit gab es in den Straßen Pekings keine Laternen; wer über die Gasse ging, trug sein eigenes Licht. Mehrere Monate hindurch gelang es den Löwen, unbeobachtet von ihren Postamenten herabzusteigen und die nächtlichen Rendezvous einzuhalten; aber da niemand eingriff, wurden sie mit derZeit sorglos und machten so viel Lärm, daß sie die Nachbarschaft störten. Eines Nachts besuchten die Löwen, die in der Weststadt wohnten, ihre Freunde imShuangLièSsè; das Lärmen weckte den Wächter des Tempeltores: der sprang aus dem Bett und rannte, mit einem schweren Prügel bewaffnet, hinaus. Er sah mehrere dunkle Gestalten, die er für Ochsen hielt, und schlug mit aller Kraft darauf los. Die beiden Löwinnen konnten flüchten. Aber die Löwen sprangen auf ihre Postamente und nahmen rasch die Haltung ein, die ihnen der Bildhauer gegeben hatte. Von jener Nacht an war es aus mit den freundschaftlichen Besuchen. Die beiden Löwen blieben im Shuang Lié Ssè, und die beiden Löwinnen verließen nicht mehr den Palast in der Weststadt.
     
     
     

2
     
    Zu den Nachteilen eines Hauses außerhalb des Pekinger Diplomatenviertels gehört es, daß man mit einem chinesischen Hausherrn geschlagen ist. Mein Hausherr, Mr. Yu, ist zwar Mandschu, aber es kommt aufs gleiche hinaus. Er ist ein hochachtbarer Mensch, nur unbeschreiblich öde; so zum Beispiel hat er die Gewohnheit, mir einmal im Jahr einen feierlichen Besuch abzustatten und mich dann ganz ohne Feierlichkeit einen Monat lang Tag für Tag zu überfallen, bis mir die Geduld reißt und ich ihm so taktvoll Wie möglich andeute, daß die zweihundert Silberdollar, die ich monatlich zahle — als ich nach China kam, waren es sechzig —, nur der Miete des Hauses gelten, ohne den Gewinn seiner Gesellschaft. Danach sehe ich ihn die übrigen elf Monate des Jahres nicht wieder.
    Mr. Yu benützt einen Brougham, dessen Seiten ganz aus Glas bestehen, so daß der Wagen aussieht wie ein Aquarium auf Rädern. Hinter dem Coupé befindet sich ein eiserner Tritt, auf dem ein Mafu oder Groom steht; vor jeder Biegung springt er herunter, um vor dem Pferd einherzulaufen wie die Figuren der Stunden vor Guido Renis . Wenn Mr. Yu das Haus betritt, um bei mir vorzusprechen, wird das Pferd abgeschirrt und weggeführt. Nach chinesischen Begriffen hat ein Besuch lange zu dauern.
    Während seiner verschiedenen Visiten hat Mr. Yu die meisten Erfrischungsgetränke ausprobiert, die der Westen kennt. Aber Rotwein ist für seinen Geschmack zu sauer und Champagner zu prickelnd. Hingegen sagen ihm meine Zigarren zu, und als er neulich bei mir war, nahm er große Mengen Himbeersaft zu sich, den er unverdünnt aus einem Wasserglas trank.
    Unser Gespräch besteht aus Gemeinplätzen von fast tragischer Banalität. Und wenn er sich von mir verabschiedet hat — der Anstand erfordert, daß ich ihn begleite, zwar nicht bis zum Tor, aber doch bis zum zweiten Hof —, findet er noch jedesmal eine Ausrede, dazubleiben und mit der Dienerschaft zu sprechen. Er fragt die Leute nach den winzigsten Einzelheiten meines täglichen Lebens: womit ich Geld verdiene; was ich für dies und jenes bezahle; was ich esse und so weiter. Ich glaube, daß die Boys, um das Ansehen des Hauses zu wahren, mich als einen Millionär von Gargantua-Format ausgeben: als unermüdlichen Trinker und hemmungslosen Verschwender.
    Das Haus, das ich von Mr. Yu gemietet habe, liegt im südwestlichen Zipfel der Tatarenstadt. Es steht in einer Ecke der äußeren Stadtmauer, die an diesem Punkt durch einen Turm mit Schießscharten statt der Fenster verstärkt ist: aus ihnen hat man den Blick über die ganze Ebene bis zu den Westbergen. Selbst an den Stellen, wo der Tatarenmauer kein Eckturm aufgesetzt ist, erhebt sich das massige Bauwerk hoch über die Häuser der Umgebung. Es schützt mich vor den Süd- und Westwinden; allerdings nutzt mir das nicht viel, denn der häufigste und
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