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Der Schlüssel zu Rebecca

Der Schlüssel zu Rebecca

Titel: Der Schlüssel zu Rebecca
Autoren: Ken Follett
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Mann erschrocken vor und sagte: »Mein Cousin!«
    Der Wanderer begriff, daß dies doch keine Illusion war. Er lächelte schwach und brach zusammen.
     
    Als er erwachte, glaubte er, ein Junge zu sein, als ob sein Erwachsenenleben nur ein Traum gewesen wäre.
    Jemand berührte seine Schulter und sagte in der Sprache der Wüste: »Wach auf, Achmed.« Seit Jahren hatte ihn niemand Achmed genannt. Er merkte, daß er in eine grobe Decke gewickelt war und auf dem kalten Sand lag; sein Kopf war in eine Houli gehüllt. Er öffnete die Augen und sah den herrlichen Sonnenaufgang wie einen Regenbogen vor dem flachen schwarzen Horizont. Der eisige Morgenwind blies ihm ins Gesicht. In dieser Sekunde machte er wieder all die Verwirrung und Besorgnis seines fünfzehnten Lebensjahres durch. Bei seinem ersten Aufwachen in der Wüste hatte er sich ganz verloren gefühlt. Er hatte gedacht: ›Mein Vater ist tot‹, und danach: ›Ich habe einen neuen Vater‹. Bruchstücke aus den Suren des Korans waren ihm durch den Kopf gegangen, gemischt mit Teilen des Apostolischen Glaubensbekenntnisses, das seine Mutter ihn immer noch insgeheim – auf deutsch – lehrte. Er erinnerte sich an den nicht lange zurückliegenden scharfen Schmerz seiner Beschneidung und an die Jubelrufe und Gewehrschüsse der Männer, die ihm dazu gratulierten,daß er endlich einer von ihnen, ein echter Mann geworden war. Dann war die lange Zugreise gefolgt, auf der er überlegt hatte, was für Menschen seine Verwandten in der Wüste sein mochten und ob sie seinen blassen Körper und seine städtischen Manieren verachten würden. Er war schnell aus dem Bahnhof nach draußen gegangen und hatte die beiden Araber gesehen, die im Staub des Vorplatzes neben ihren Kamelen saßen; sie waren in traditionelle Gewänder gehüllt, die sie von Kopf bis Fuß bedeckten. Sie hatten ihn zu dem Brunnen gebracht. Es war schrecklich gewesen: Niemand sprach mit ihm, sondern alle machten sich nur mit Zeichen verständlich. Am Abend wurde ihm klar, daß diese Menschen keine Toiletten besaßen, und das machte ihn ziemlich verlegen. Schließlich konnte er nicht mehr umhin zu fragen. Nach einem Moment des Schweigens brachen alle in Gelächter aus. Wie sich herausstellte, hatten sie geglaubt, er beherrsche ihre Sprache nicht, deshalb hatten sie die Zeichensprache benutzt; außerdem hatte er bei seiner Frage nach den sanitären Einrichtungen einen Kinderausdruck verwendet, was alles noch amüsanter machte. Jemand erklärte ihm, daß er sich etwas von dem Kreis der Zelte entfernen und in den Sand hocken solle. Danach war er nicht mehr so verängstigt gewesen, denn diese Menschen erschienen ihm trotz ihrer Härte nicht unfreundlich.
    All diese Gedanken waren ihm durch den Kopf gegangen, während er seinen ersten Sonnenaufgang in der Wüste betrachtete; und jetzt, zwanzig Jahre später, kehrten sie bei den Worten »Wach auf, Achmed« so frisch und schmerzlich zurück wie die schlimmen Erinnerungen an den gestrigen Tag.
    Er setzte sich jäh auf, und die Gedanken verzogen sich so schnell wie die Morgenwolken. Eine lebenswichtige Mission hatte ihn gezwungen, die Wüste zu durchqueren. Er hatte den Brunnen gefunden, und es war keineHalluzination gewesen: Seine Verwandten waren hier, wie immer zu dieser Jahreszeit. Er war vor Erschöpfung zusammengebrochen, sie hatten ihn in Decken gehüllt und neben dem Feuer schlafen lassen. Panik überkam ihn, als er an sein wertvolles Gepäck dachte; hatte er es bei seiner Ankunft noch getragen? Dann sah er es, säuberlich zu seinen Füßen aufgestapelt.
    Ischmael kauerte neben ihm. So war es immer gewesen: Während des ganzen Jahres, das die beiden Jungen zusammen in der Wüste verbracht hatten, war Ischmael am Morgen stets als erster aufgewacht. Er sagte: »Große Sorgen, Cousin?«
    Achmed nickte. »Es ist Krieg.«
    Ischmael reichte ihm eine winzige juwelenbesetzte Wasserschüssel. Achmed tauchte die Finger in das Wasser und wusch sich die Augen. Nachdem Ischmael sich entfernt hatte, stand Achmed auf.
    Eine der Frauen, schweigend und untertänig, gab ihm Tee. Er nahm die Tasse ohne Dank entgegen und trank sie schnell aus. Dann aß er etwas kalten, gekochten Reis und sah zu, wie die geruhsame Arbeit des Lagers ihren Lauf nahm. Es schien, daß dieser Zweig der Familie noch immer wohlhabend war: Die Zahl der Diener, der vielen Kinder und der über zwanzig Kamele deuteten das an. Die Schafe in der Nähe waren nur ein Teil der Herde, der Rest graste wohl ein paar
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