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Der Schlitzer

Der Schlitzer

Titel: Der Schlitzer
Autoren: Jason Dark
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erzählte ihrem toten Mann von ihren Sorgen und Problemen, von den Kindern, die ja gut versorgt waren, und auch von sich selbst und von ihrer grenzenlosen Einsamkeit. Der Tod des Mannes hatte die Hälfte ihres Ichs abgerissen, sie war nur mehr eine halbe Person. Ihr Leben würde in schrecklich leeren Bahnen verlaufen, und daraus wiederum würde eine gewisse Sinnlosigkeit resultieren, die einer Depression den Weg ebnen konnte.
    Die nächsten Tage würde sie noch einigermaßen überstehen, weil es viel zu tun gab. Die Organisation der Beerdigung, zum Beispiel, das Aufsetzen der Anzeige, das Reden mit den Söhnen, aber dies alles würde vorbeigehen, und dann stand sie vor dem tiefen Loch. Dann kam die Leere, die Einsamkeit, das große Nichts, und sie sah kein Netz, das sie aufgefangen hätte. Der Gedanke an all diese Dinge ließ sie leicht schwindeln, und Rose mußte sich am Sarg abstützen, um nicht zu fallen.
    Sie bekam sich selbst in den Griff, atmete tief und keuchend durch, schaute sich in der Leichenhalle um und verglich das Licht mit einer blassen Totensonne. Es strahlte keine Wärme mehr aus, war wie ein Neutrum, und es spiegelte sich an gewissen Stellen an den kahlen Wänden wider.
    Auch sie hatten Roses Meinung nach einen Totenglanz bekommen, so wie ihr dieser gesamte Raum vorkam wie ein kaltes Grab. Und etwas Kaltes strich auch über ihren Nacken.
    Rose Pandrish schauderte zusammen. Dieser kühle Luftzug kam ihr unnormal vor, als hätte jemand in ihrer unmittelbaren Nähe ein Fenster geöffnet, um die kalte Friedhofsluft hereinzulassen. Es gab in diesem Raum jedoch kein Fenster, also mußte die Kälte einen anderen Grund haben.
    Sie wollte sich umdrehen, doch plötzlich bekam sie Angst. Eine tiefe, unerklärliche Furcht hielt sie in den Krallen, mit der sie überhaupt nicht zurechtkam. Etwas hatte sich auf eine schreckliche Art und Weise in ihrer Nähe verändert, obwohl es für sie nicht sichtbar geworden war. Es war ein gewisser Druck da, eine Haube der Furcht, die sich auf ihren Kopf gelegt hatte.
    Etwas geschah…
    Etwas passierte in ihrer unmittelbaren Nähe, doch sie bekam es einfach nicht mit. Es sei denn, sie konzentrierte sich auf das kalte Gefühl im Nacken, denn das war nach wie vor da, und es hatte sich sogar noch um einiges verstärkt.
    Bisher hatte Rose dicht neben dem Sarg gestanden. Sie hatte ihn sogar an der Außenseite berührt, doch das wollte sie nicht mehr. Sie trat einen Schritt zurück.
    Die Kälte blieb. Hinter ihr mußte jemand stehen, der sie ihr in den Nacken blies.
    Ein Fremder? Der Geist eines Toten? Ein Gruß aus dem Jenseits? In dieser Atmosphäre schössen ihr die irrsinnigsten Vermutungen durch den Kopf, und sie drehte sich um.
    Vor ihr schwebte der Geist! Ein wahres Schreckgespenst. Rose wußte nicht, was sie machen sollte. Dieser Geist war einfach grauenhaft. Er war kein Mensch, er war da, aber er war gleichzeitig auch ein Nichts. Es war nicht mehr als eine nebulöse Gestalt, von der dieser kalte Totenhauch ausging.
    Oder schwebte doch kein Geist vor ihr?
    Wie die meisten Menschen hatte auch Rose keine Erfahrungen im Umgang mit Geistern. Wenn sie einen Geist hätte beschreiben sollen, so wäre das für sie ein feinstoffliches Wesen mit gewissen menschlichen Umrissen, jedoch ohne feste Materie. Wie war das bei ihrem Besucher? Er schwebte als düstere Gestalt vor ihr. Er hatte sogar einen Körper. Sie sah Beine, Hände, einen Kopf, auf dem dunkles Haar wuchs, sie sah das bleiche Gesicht, die dunklen Augen, und sie starrte einen Moment später auf den leicht vorgestreckten, angewinkelten rechten Arm, denn diese Hand hielt den Griff eines hellen Gegenstands umklammert, der aussah wie ein Messer, aber keine normale Klinge sein konnte, denn dazu war sie viel zu hell. Sie strahlte fast.
    Ihre Gedanken irrten umher, und Rose Pandrish fragte sich, wie die Gestalt die Leichenhalle hatte betreten können. Die Tür blieb als einziger Ausweg, aber die knarrte und war nicht zu überhören. Rose ging zurück. Einen kleinen Schritt, dann den nächsten, und sie hatte große Mühe, sich auf den Beinen zu halten. So groß die Leichenhalle auch sein mochte, sie kam ihr wie ein Gefängnis vor, und sie mußte nach rechts schauen, um den schnellsten Weg zur Tür zu finden.
    Eines stand für sie fest. Sie würde keine Sekunde länger in diesem Raum bleiben, denn ihre Angst nahm noch weiter zu.
    Da bewegte sich die Gestalt.
    Obwohl Rose sah, daß sie mit den Füßen den glatten Fußboden berührte,
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