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Der Schichtleiter

Titel: Der Schichtleiter
Autoren: Alex Seinfried
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zum zweiten Mal an diesem Morgen unter die Dusche steigt.

3

Eile mit …
    Gut zwei Stunden später sitze ich ausgeruht, frisch geduscht und mit dem ersten Anflug von Sehnsucht im Wohnzimmer neben meinen Taschen und warte. Mein Zug fährt in vierzig Minuten. Kaum zu glauben, dass ich schon fertig bin, aber seit ich bei Marco wohne, hat sich meine chronische Unpünktlichkeit doch ziemlich gebessert. Ich muss grinsen bei dem Gedanken, dass auf der anderen Seite Marco durch mich einen Teil seiner Pünktlichkeit eingebüßt hat. Ich hoffe, er gerät deswegen heute nicht wieder mit seinem Vater aneinander. Der Alte versteht nämlich keinen Spaß, und seit er seinen Sohn mit mir inflagranti erwischt hat, ist die Sache nicht gerade besser geworden. Und wenn Marco neuerdings ein bisschen weniger zuverlässig ist, was die Pünktlichkeit angeht, kann der Alte sich mit diesem Grundwissen zusammenreimen, woran das liegt.
    Endlich klingelt es. Na ja, meine neue Zuverlässigkeit hat sich jedenfalls noch nicht auf Mara übertragen. Sie ist über zehn Minuten zu spät. Aber glücklicherweise habe ich das mit einkalkuliert und sie etwas früher bestellt. Einer von Marcos Tricks, mit denen er mich erzieht. Wie ich sehe, klappt das bei anderen ebenfalls sehr gut. Noch genügend Zeit, um gemütlich zum Bahnhof zu kommen.
    Schwer bepackt ziehe ich die Wohnungstür hinter mir zu, als Mara auch schon aufgeregt die Treppe heraufeilt.
    „Soll ich helfen?“, fragt sie atemlos. „Komm, ich kann deinen Rucksack nehmen!“
    Ich grinse, weil Mara Panik in den Augen hat. „Hallo erst mal“, sage ich ruhig. „Wie geht’s?“
    „Hi, ich bin zu spät, tut mir leid“, antwortet sie und hechtet zu mir hoch. Dann zerrt sie an meiner Reisetasche. „Uff, die ist aber schwer!“
    „Ich mach das schon …“
    „Geht, geht“, wehrt sie ab und zieht das Monstrum hinter sich her zur Treppe.
    „Hey, warte …“ Ich will sie noch aufhalten, als Mara mit einem Ruck die Tasche über die erste Stufe zieht. Dann geht alles plötzlich ganz schnell. Wahrscheinlich hat Mara gedacht, dass es sich bei meinem Gepäck um eine etwas zu große Sporttasche handelt. Die kann man nämlich wie einen nassen Sack bequem von Stufe zu Stufe runterrutschen lassen. Aber weit gefehlt. Meine Reisetasche hat ungünstigerweise einen Hartschalenboden mit Plastikkufen. Damit kann man das Teil auf den Rollen am Ende wie einen Koffer ziehen. Und genau jetzt bekommt das gute Stück auf den Plastikkufen Übergewicht und kippt, während Mara noch immer an dem Tragegurt zieht.
    „Vorsicht!“, rufe ich ihr erschrocken zu, als meine Reisetasche in Fahrt kommt. Gerade rechtzeitig rettet sich Mara mit einem Satz auf mein Gepäck und saust damit wie auf einem Schlitten die Treppe hinunter. Es ist ein Höllenlärm – bei jeder Stufe knallen die kleinen Plastikräder am Ende der Kufen laut, während Mara sich kreischend auf dem Gefährt festkrallt. Dann donnert sie unten mit Füßen und Hintern voran gegen die Wand und bleibt schlaff auf der Tasche liegen.
    Ich schlucke. „Alles in Ordnung?“ Besorgt stürme ich zu ihr. „Hast du dir wehgetan?“
    „Ich bin okay.“ Sie schnauft und löst sich mit rotem Kopf von meinem Gepäck. „Nix passiert.“
    „Na, meine Tasche frag ich da mal besser nicht, was?“ Ich kann nicht anders. Jetzt, da sie vor mir steht und offensichtlich keinen Schaden davongetragen hat, schleicht sich ein breites Grinsen auf mein Gesicht. In Gedanken sehe ich den Abgang noch mal vor mir. Ganz schön rasant. Unaufhaltsam klettert ein Lachen in meinem Bauch hoch. Und dann macht Mara den Fehler und sieht mich an. Ihr Gesicht mit den hektischen, roten Flecken, ihr beschämter Blick. Ich kann mich nicht halten und lache los.
    „Och nee“, sagt sie, „das muss jetzt echt nicht sein. Komm, wir sind spät dran!“
    Ihre Reaktion spornt meine Lachmuskeln aber nur noch mehr an. Wie kann sie nach ihrer kreischenden Abfahrt auf meiner Reisetasche so ruhig etwas so Blödes sagen? Wieder und wieder sehe ich den Stunt vor mir und kriege mich kaum ein. Mir schießen die Tränen in die Augen und ich lasse mich gleichermaßen lachend wie heulend auf die Stufen fallen. Mara wartet geduldig, bis der Anfall vorbei ist. Ein wenig verkürzt sie die Wartezeit, indem sie selbst über sich lacht – natürlich nicht zu viel.
    Irgendwann klingelt es oben in meiner Wohnung. Ich bin schon fast dankbar für die Ablenkung, weil mein Bauch schmerzt.
    „Das ist bestimmt Lukas“, sagt
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