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Der Schatten des Horus

Der Schatten des Horus

Titel: Der Schatten des Horus
Autoren: Thilo P. Lassak
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des heruntergekommenen Hauses gezwängt und schließlich die Treppe erreicht. Schon im fünften Stock hatte er sich Lederhandschuhe übergezogen und das Klappmesser aufspringen lassen. Er durfte keine Fingerabdrücke hinterlassen. Der Mann an der Rezeption würde sich erinnern, wie Sid überhastet das Hotel verlassen hatte, dafür hatte der sa schon selbst gesorgt. Wenn ihn die Polizei des halben Landes hetzte, würde sich Sid keine unüberlegten Schritte mehr leisten können. Und er, Birger Jacobsen, würde als sein Retter auftreten und ihn problemlos in seine Bahnen lenken können. Bis er mächtiger war als Sajjid Tanaffus und dessen Platz als Seth-Seher an der Spitze des Kults einnehmen konnte. Es hätte funktioniert. Wenn ihm nicht dieser verflixte Bengel in die Quere gekommen wäre!
    Der Fahrstuhl sprang an. Rumpelnd bewegte er sich in die Tiefe. Birger Jacobsen hielt den Atem an, doch die Kabine fuhr am fünften Stock vorbei. Er atmete hörbar aus und dachte nach.
    Der Fahrstuhl hatte ihn auf eine Idee gebracht! Die Lösung war doch ganz einfach. Er schielte das Treppenhaus hinab. Der Junge konnte beim Spielen abgestürzt sein, fünf Stockwerke tief, auch der zäheste Bursche würde so einen Unfall wohl kaum überleben. Doch dann verwarf er den Gedanken wieder. Vor dem Aufprall würde er wie am Spieß schreien. Unnötige Aufmerksamkeit erregen. Blieb also nur das Messer. War es nicht sogar nützlich, wenn der sa bei seiner Flucht eine weitere kleine Leiche zurückließ?
    Er musste schnell handeln. Ein weitaus größeres Problem wartete darauf, gelöst zu werden: Tanaffus durfte niemals von seinen eigenen, weitreichenden Plänen erfahren. Doch Tanaffus hatte seine Augen und Ohren einfach überall. Dass Sid in Kairo war, würde Birger erklären können. Die Mumie Setepenseths musste gefunden werden. Tanaffus selbst hatte die Vermutung geäußert, der sa würde den Körper finden, sobald ihn das eingepflanzte Mumienherz ganz in seinen Besitz genommen hätte. Dann konnten sie in der Höhle tief unter Manhattan die Zeremonie durchführen und Setepenseth, den jahrtausendealten Hohepriester, in seiner wahren Gestalt auferstehen lassen, indem sie sein Herz wieder mit seinem mumifizierten Körper vereinten.
    Plötzlich wurde eine Tür am Ende des Gangs geöffnet. Birger Jacobsen spürte, wie sich ihm kleine Zähne in die Finger bohrten. Reflexartig zog er die Hand zurück. Der Hosenscheißer nutzte die Chance, ihn zu überrumpeln. Geschickt wand er seinen Hals um das Messer herum und rannte heulend auf die Tür zu.
    Birger Jacobsen fand seine Ruhe augenblicklich wieder. Dank dieser Fähigkeit, in brenzligen Situationen eiskalt handeln zu können, hatte er es schließlich bis fast an die Spitze des Kults, bis zum Wesir, gebracht.
    Er warf einen Blick in den Gang. Der Junge hatte die Tür fast erreicht. Blitzschnell schwang sich Birger Jacobsen um den Treppenpfosten herum und eilte lautlos die restlichen Stufen nach oben. Vor dem Hoteleingang angekommen stieß er mit der Schuhspitze die Tür auf.
    Hinter dem schäbigen Empfangstresen hockte ein mürrischer, bärtiger Mann im Kaftan und fischte mit einem Zahnstocher nach den Resten seines Abendessens. Überrascht sah er den Fremden mit den fuchsroten kurzen Haaren an. Birger Jacobsen sprenkelte etwas Eselsblut aus dem Flakon auf sein Handgelenk.
    » Jo-Seth, ba’ek em ach, sechau’ek em heti! «, schleuderte er dem Ägypter entgegen. Augenblicklich sackte der Mann in sich zusammen. Mit glasigen Augen stierte er die Wand an. Später würde er sich an nichts erinnern können. Die Formel hatte ihn in eine Schleife des Vergessens geschickt.
    Schnell drehte Birger Jacobsen das Buch zu sich um, in dem die Anmeldungen vermerkt waren, und überflog die Eintragungen. Zufrieden legte er es in seine Ausgangsposition zurück. Die beiden hatten in Zimmer Nummer zwölf eingecheckt. Er horchte. Nichts rührte sich. Die anderen Gäste schienen ausgeflogen zu sein. Mit großen Schritten stürmte Birger Jacobsen den dunklen Gang hinunter, vorbei an einem hoffnungslos verdreckten Waschraum. Vor der Tür mit der Zwölf blieb er stehen und sammelte sich. Das Messer wog plötzlich schwer in seiner Hand. War seine Entscheidung richtig? Er wischte den Zweifel wie eine lästige Fliege weg. Das Mädchen musste sterben.
    Langsam drückte er die ausgeleierte Klinke herunter. Diese Tür konnte er nicht eintreten, nichts durfte auf das gewaltsame Eindringen eines Fremden hindeuten. Doch sie war
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