Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ruf des weißen Raben (German Edition)

Der Ruf des weißen Raben (German Edition)

Titel: Der Ruf des weißen Raben (German Edition)
Autoren: Sanna Seven Deers
Vom Netzwerk:
nun in Richtung eines der Gänge zogen, plötzlich anzuhalten schienen und in einem letzten großen Wirbel zurück zur Mitte strömten, von wo aus sie nach oben stiegen und durch die Öffnungen im Dach in den Nachthimmel verschwanden.

    In dem Augenblick, als das laute Wehklagen ertönte und die Trommeln und Stimmen verstummten, fühlte Myra, wie sich unzählige unsichtbare Augenpaare auf sie richteten.
    Rauchschleier umhüllten sie.
    Ihr Herz pochte wie wild, und ein unbehagliches Gefühl breitete sich in ihrem Bauch aus.
    Rasch wandte sie sich um und hastete zurück in den Vorraum. Sie verließ das Gebäude, ohne sich noch einmal umzublicken, und lief zu ihrem Wagen. Sie konnte den Rauch noch immer deutlich vernehmen. Es war, als sei er Teil ihrer selbst geworden.
    Sie ließ sich auf den Fahrersitz fallen, zog die Tür hinter sich zu und atmete tief durch. Wo, um alles in der Welt, war sie da nur hineingeraten?

    Die Ältesten flüsterten miteinander, und schließlich war es Joseph Rock Horse, der sich an die versammelte Menge wandte. Chad lauschte seinen Worten voller Ehrfurcht.
    »Unsere Bitte um Rat und Beistand ist erhört worden. Die Ahnen sprachen von einer uralten Legende, und sie versicherten, dass wir auf Hilfe hoffen können.« Er machte eine kurze Pause. »Ich weiß, dass meine Worte vielen von euch zu ungenau sind. Doch mehr vermag ich nicht zu sagen. Seid versichert: Die Antwort, die wir erhalten haben, war lauter und sehr viel deutlicher, als wir erhofft hatten. Beistand wird kommen. Haltet eure Augen und Ohren offen – und eure Herzen. Nehmt die gesandte Hilfe an und unterstützt sie nach Kräften.« Dann fügte er wie zu sich selbst hinzu: »Es ist vielleicht die einzige Chance, die uns und unseren Mitmenschen bleibt … Möge der Große Geist uns beschützen.«
    Chad lief ein Schauer über den Rücken, als ihm die Bedeutung dieser Worte deutlich wurde. Alles hing jetzt von ihnen ab, von den anderen Stammesmitgliedern – auch von ihm selbst.
    Sie mussten auf ein Zeichen hoffen und ihm mutig Folge leisten. Sonst würde die Welt, so wie Chad sie kannte, unweigerlich zerbrechen.

K APITEL 1

Felssäulen
    M yra stellte ihren Wagen auf dem Parkplatz neben der Tankstelle ab und stieg aus. Sie streckte ihren müden Körper in der kühlen Morgenluft und atmete tief durch. Es dämmerte gerade. Die Stimmen der Nachtvögel waren verstummt, und der Himmel färbte sich rosarot. Es würde ein herrlicher Tag werden!
    Myra hatte die Nacht im Auto verbracht, auf einem Rastplatz am Highway, und ihren Weg nach Boulder Landing fortgesetzt, nachdem sie aus ihrem kurzen und unruhigen Schlaf erwacht war. Jetzt befand sie sich an der einzigen Tankstelle im weiten Umkreis und wollte sich den lang ersehnten Tee und ein Frühstück besorgen.
    Boulder Landing! Der Name klang wie Musik in Myras Ohren. Es war der Ort, an dem sie aufgewachsen war und mit dem sie all ihre Kindheitserinnerungen verband. Von dort aus würde sie zum Fuß des Thunder Mountain weiterfahren, wo sie schon als junges Mädchen so gern und oft gewandert war. Es war nur noch eine kurze Strecke, und Myra konnte es kaum erwarten, bis sie die wilde Schönheit der Berge und die reine, ungestörte Natur wieder um sich haben würde.
    Es war die Natur, und es waren insbesondere die Berge ihrer Heimat, die Myras Herz, seit sie ein Kind war, wieder ruhig schlagen ließen, sobald etwas sie bedrückte. Und im Augenblick lag ihr eine sehr große Last auf dem Herzen. Ihr Freund Jerry hatte ihr einen Heiratsantrag gemacht, aber der hatte, ganz und gar unerwartet, nicht den Freudenschauer in ihr ausgelöst, von dem sie ihr Leben lang geträumt hatte. Ganz im Gegenteil. Der Antrag hatte Myra so sehr verunsichert, dass sie erst wieder ihrer Gefühle Herr werden musste, bevor sie Jerry die richtige Antwort geben konnte. Genau das versprach sie sich von dem Trip in ihre geliebten Berge.
    Mit diesen Gedanken betrat Myra den kleinen Laden, der zu der Tankstelle gehörte. Erstaunlicherweise war sie nicht die einzige Kundin. Ein junger Indianer, vielleicht Anfang dreißig, mit langen schwarzen Haaren, die ihm bis weit über den Rücken fielen und die er zu einem Zopf geflochten hatte, lehnte an dem Tresen neben der Kasse und sprach mit dem älteren Tankwart. Beide Männer grüßten Myra höflich und setzten ihr Gespräch fort.
    Myra musterte den jungen Indianer, während sie heißes Wasser für ihren Tee in einen Einwegbecher goss und sich einen Muffin zum Frühstück
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher