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Der Ruf Der Walkueren

Der Ruf Der Walkueren

Titel: Der Ruf Der Walkueren
Autoren: Gunnar Kunz
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Möglichkeiten. Sie konnte umkehren, ihrer Sippe Bericht erstatten und sich wie ein kleines Mädchen für ihren Ungehorsam ausschelten lassen. Oder sie konnte herausfinden, was geschehen war. Gescholten werden würde sie auf jeden Fall. Aber wenn sie der Sache auf den Grund ging, würde sie sich zumindest den Respekt ihrer Sippe erwerben. Außerdem, und das gab am Ende den Ausschlag, mochte es ja sein, dass der Anlass für die blutige Fährte harmlos war, und in diesem Fall brauchte sie gar nichts zu sagen. Aber daran glaubte sie selbst nicht.
    Mit einem Schnalzen brachte sie Fála dazu, der roten Fährte zu folgen. Vor einer Gruppe von Büschen wurde das Pferd langsamer und scharrte nervös mit den Hufen. Grimhild schluckte. Was immer der Grund für die Blutspur war, gleich würde sie ihn zu Gesicht bekommen. Ihr hugi , der Teil ihrer Seele, der Neigung und Instinkt in sich trug, warnte sie, aber sie ignorierte seine Stimme und unterdrückte das Zittern ihrer Glieder. Vorsichtshalber zog sie ihr Messer. Dann atmete sie tief durch und trieb Fála durch einen Schenkeldruck weiter.
    Sie war nicht vorbereitet auf das, was sich ihren Augen darbot, und im ersten Moment fühlte sie sich, als würde sämtliche Luft aus ihren Lungen gepresst. Sie erkannte den Toten sofort, trotz seiner grauenvollen Lage und obwohl alles, aber auch alles von Blut nur so triefte: die verkrümmt daliegende Gestalt, der Felsen, auf dem man sie ausgebreitet hatte, sogar das umliegende Gesträuch und der Schnee ringsumher. Der Anblick erinnerte sie an das Schlachten von Schweinen.
    Der steifgefrorene Krieger war eindeutig einer Blutrache zum Opfer gefallen. Jemand hatte ihm den Blutaar geritzt: Sein Rücken war vom Kreuzbein bis zum Nacken aufgeschlitzt, die Rippen sorgfältig vom Rückgrat abgetrennt und wie Adlerschwingen auseinandergefaltet worden. Anschließend hatte man die Lungenflügel herausgezogen. Dass der Hingerichtete während dieser grausamen Prozedur noch am Leben gewesen war, bewiesen die abgerissenen Fingernägel; offenbar hatte er versucht, sich zu wehren, während er Qualen erlitt, die sich das erschütterte Mädchen nicht annähernd vorzustellen vermochte.
    Es dauerte eine Ewigkeit, bevor Grimhild ihr Zittern unter Kontrolle bekam und den Mut aufbrachte, vom Pferd zu steigen. Der Blutgeruch verursachte ihr Übelkeit, doch sie kämpfte erfolgreich gegen den Wunsch an, sich zu übergeben. Vor dem Leichnam sank sie auf die Knie.
    »Vater!«, flüsterte sie erstickt.

I
Sommer 477

Sigfrid kommt
1
    Das Scheppern von Metall auf Metall hallte über das freie Gelände vor den umwehrten Höfen der Niflungen, Kampfgeschrei begleitete jeden Schlag. Hagen, der Waffenmeister, hielt seine täglichen Übungen mit dem zwölfjährigen Gislher, dem jüngsten von Aldrians Söhnen, ab. Die beiden trugen ihre Brünnen, eng anliegende Hemden aus zusammengeketteten Eisenringen, und waren schweißgebadet.
    Hagen war ein Krieger, der überall Aufsehen erregt hätte. Niemand würde ihn einen schönen Mann nennen, aber er besaß eine Ausstrahlung, der man sich nicht entziehen konnte. Er überragte die meisten Männer um Haupteslänge, was ihn an und für sich schon zu einer Furcht einflößenden Erscheinung machte, der schwarze Bart, die Narben und die tief hängenden Brauen taten ein Übriges, seine düstere Natur zu unterstreichen. Zudem war er einäugig. Wo sich das linke Auge befunden hatte, gähnte ein Loch. Er sprach nie davon, bei welcher Gelegenheit er das Auge verloren hatte, und wenn man an seinem Leben hing, tat man gut daran, ihn nicht danach zu fragen. Meist verbarg er die unheimliche Höhle unter einer Augenklappe, nur in der Schlacht nahm er die Bedeckung ab, weil er genau wusste, welche Wirkung er damit unter seinen Feinden erzielte. Und Hagen war zu klug, um sich einen Vorteil wie diesen nicht zunutze zu machen.
    Das Training dauerte bereits den halben Tag. Trotz seiner Behinderung war Hagen ein guter Lehrer. Es gab keinen besseren Kämpfer weit und breit. Endlos probte er mit Gislher das Parieren eines bestimmten Hiebes und den darauf folgenden Gegenangriff, bis die Muskeln des Jungen die Kombination derart verinnerlicht hatten, dass sie von selbst reagierten. Die Übungen wurden mit der Spatha abgehalten, einem zweischneidigen Langschwert, das links getragen wurde. Es waren stumpfe Waffen, natürlich, doch auch so schmerzte ein Treffer noch genug, zumal Hagen seinen Schüler nicht schonte und die Schläge mit aller Kraft führte.
    Wie
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