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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis
Autoren: Sarah Lark
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das exotische Künstlerdasein der sonderbaren Warden-Erbin. James oder Jack lieferten die neuesten Nachrichten über Kuras wildes Leben auch bereitwillig, und Gwyneira schritt gewöhnlich nicht ein. Schließlich gab es meist Erfreuliches zu berichten: Kura und William waren glücklich, die Vorstellungen ausverkauft, eine Tournee jagte die andere. In Haldon zerriss man sich natürlich trotzdem die Mäuler. War William seiner Kura wirklich seit bald zehn Jahren treu? Auf Kiward Station hatte das ungetrübte Glück gerade mal ein Jahr gehalten. Und wenn die Ehe wirklich so vollkommen war – warum wurde sie dann nicht mit weiteren Kindern gesegnet?
    Gwyneira, die jetzt mit zittrigen Fingern den diesmal in London abgestempelten Brief öffnete, war das alles egal. Sie interessierte eigentlich nur Kuras Verhältnis zu Gloria. Das war bislang von Desinteresse geprägt, und Gwyneira betete, dass es so blieb.
    Diesmal sah James seiner Frau jedoch schon beim Lesen an, dass der Brief aufrüttelndere Nachrichten enthielt als die immer gleichen Erfolgsgeschichten von »
Haka meets Piano
«. James hatte es schon geahnt, als er nicht Kuras steile Buchstaben auf dem Umschlag erkannt hatte, sondern William Martyns flüssiges Schriftbild.
    »Sie wollen Gloria nach England holen«, sagte Gwyneira tonlos, als sie den Brief schließlich sinken ließ. »Sie ...« Gwyn suchte die Stelle in Williams Schreiben. »Sie wissen unsere Erziehungsarbeit zwar zu schätzen, aber sie machen sich Sorgen darüber, ob Glorias ›künstlerisch-kreative Seite‹ hier ausreichend gefördert wird! James, Gloria hat keine ›künstlerisch-kreative Seite‹!«
    »Gott sei Dank«, bemerkte James. »Und wie gedenken die zwei diese neue Gloria denn nun zu erwecken? Soll sie mit auf Tournee? Singen, tanzen? Flöte spielen?«
    Kuras virtuose Beherrschung der 
pecorino
-Flöte gehörte zu den Glanzpunkten ihres Programms, und natürlich besaß auch Gloria ein solches Instrument. Zum Kummer ihrer Großmutter Marama hatte das Mädchen der Flöte aber nicht einmal eine der »normalen Stimmen« fehlerfrei entlocken können, geschweige denn die berühmte »
wairua
«, die Stimme der Geister.
    »Nein, sie soll in ein Internat. Hör dir das an: ›Wir haben eine kleine und sehr idyllisch gelegene Schule bei Cambridge ausgewählt, die eine vielseitige Mädchenbildung besonders im geistig künstlerischen Bereich gewährleistet ...‹«, las Gwyneira vor. »Mädchenbildung! Was soll man denn darunter verstehen?«, murmelte sie ärgerlich.
    James lachte. »Kochen, backen, sticken?«, schlug er vor. »Französisch? Klavier spielen?«
    Gwyn sah aus, als würde sie gefoltert. Als Tochter eines Landadeligen war ihr das alles nicht erspart geblieben, aber zum Glück hatte das Geld der Silkhams nie für eine Internatsausbildung der Töchter gereicht. Deshalb hatte Gwyn sich den schlimmsten Auswüchsen entziehen können, um stattdessen nützliche Dinge wie Reiten und Hütehundeausbildung zu erlernen.
    James stand schwerfällig auf und nahm sie in die Arme.
    »Komm, Gwyn, so schlimm wird es schon nicht sein. Seit die Dampfschiffe verkehren, ist die Reise nach England ein Klacks. Viele Leute schicken ihre Kinder auf ein Internat. Es wird Gloria nicht schaden, sich ein bisschen in der Welt umzusehen. Und die Landschaft bei Cambridge soll sehr lieblich sein, so wie hier. Gloria wird mit gleichaltrigen Mädchen zusammen sein und Hockey spielen oder was man da so treibt ... na gut, wenn sie ausreitet, muss sie sich halt mit dem Damensattel abfinden. Ein bisschen gesellschaftlicher Schliff ist ja auch gar nicht so schlecht, seit die Viehbarone hier immer vornehmer werden ...«
    Die großen Farmen in den Canterbury Plains, die seit über fünfzig Jahren bestanden, warfen meist ohne größeren Einsatz der Besitzer guten Gewinn ab. So mancher »Schafbaron« der zweiten oder dritten Generation führte das Leben eines vornehmen Gutsbesitzers. Es gab jedoch auch Farmen, die verkauft worden waren und nun vor allem hochdekorierten Kriegsveteranen aus England als Ruhesitz dienten.
    Gwyn atmete tief durch. »Das war es wahrscheinlich«, seufzte sie. »Ich hätte ihr das Foto mit dem Pferd nicht erlauben sollen. Aber sie wollte es unbedingt. Sie war so glücklich über das Pony ...«
    James wusste, was Gwyn meinte: Einmal im Jahr machte sie ein großes Gewese darum, Gloria für ihre Eltern fotografieren zu lassen. Im Allgemeinen steckte sie das Mädchen dazu in ein möglichst steifes und
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