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Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht (German Edition)

Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht (German Edition)

Titel: Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht (German Edition)
Autoren: Joseph Stiglitz
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nicht bewährt und unser politisches System von Finanzinteressen beherrscht zu sein scheint, wird das Vertrauen in unsere Demokratie und in unsere Marktwirtschaft zusammen mit unserem globalen Einfluss schwinden. In dem Maße, wie uns bewusst wird, dass wir kein Land der unbegrenzten Möglichkeiten mehr sind und dass sogar unsere vielgepriesene rechtsstaatliche Ordnung und das Justizsystem in Misskredit geraten sind, scheint sogar unser nationales Identitätsgefühl in Gefahr zu sein. In einigen Ländern ist die Occupy-Wall-Street-Bewegung eng mit der Bewegung der Globalisierungsgegner verbunden. Sie haben eine Reihe von Gemeinsamkeiten: Sie teilen die Überzeugung, dass etwas im Argen liegt, aber auch die, dass Veränderung möglich ist. Das Problem ist jedoch nicht die Globalisierung an sich, sondern vielmehr die Tatsache, dass die Regierungen sie schlecht und einseitig gestalten, indem sie vor allem Sonderinteressen davon profitieren lassen. Die enge und weltweite Verflechtung von Völkern, Ländern und Volkswirtschaften ist eine Entwicklung, die genauso effektiv zur Förderung des allgemeinen Wohlstandes wie zur Verbreitung von Gier und Elend genutzt werden kann. Das Gleiche gilt für die Marktwirtschaft: Die Märkte verfügen über enorme Macht, aber nicht per se über Moral. Wir müssen entscheiden, wie wir sie nutzen und steuern wollen. Die Märkte waren wesentlich an den erstaunlichen Produktivitäts- und Lebensstandardsteigerungen der letzten zweihundert Jahre beteiligt – Verbesserungen, die weit über das hinausgehen, was in den zweitausend Jahren zuvor erreicht wurde. Doch der Staat hat bei diesen Fortschritten ebenfalls eine wichtige Rolle gespielt, was Anhänger der freien Marktwirtschaft gern übersehen. Märkte können auch Vermögen konzentrieren, Umweltkosten auf die Allgemeinheit abwälzen und Arbeitnehmer und Verbraucher ausbeuten beziehungsweise übervorteilen. Aus all diesen Gründen ist klar, dass Märkte gezähmt und gezügelt werden müssen, um sicherzustellen, dass sie dem Gemeinwohl – dem Nutzen der meisten Bürger – dienen. Und diese Bändigung muss immer wieder aufs Neue erfolgen, damit die Bindung an das Gemeinwohl langfristig gewährleistet wird. In den Vereinigten Staaten geschah dies erstmals in der sogenannten Progressive Era von 1890 bis in die zwanziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts mit der Verabschiedung der Wettbewerbsgesetze. Und es geschah während
des sogenannten New Deal, als die staatliche Rentenversicherung, Reformen im Arbeits- und Sozialrecht und Mindestlohngesetze eingeführt wurden. Die Botschaft der Occupy-Wall-Street-Bewegung und vieler anderer Demonstranten weltweit lautet, dass die Märkte wieder einmal gezähmt und gezügelt werden müssen. Dies nicht zu tun, hätte gravierende Folgen: In einer Demokratie, die diesen Namen verdient und in der die Stimmen der gewöhnlichen Bürger gehört werden, können wir kein offenes und globalisiertes Marktsystem aufrechterhalten, zumindest nicht in der Form, in der wir es kennen, wenn dieses System den Bürgern Jahr für Jahr Einbußen beschert. Die eine oder die andere Seite wird nachgeben müssen – entweder unsere Politik oder unsere Wirtschaft.

Das Versagen des politischen Systems
    Das politische System scheint genauso zu versagen wie das Wirtschaftssystem. Angesichts der hohen Jugendarbeitslosigkeit weltweit – in Spanien fast 50 Prozent und 18 Prozent in den Vereinigten Staaten 12 – erstaunt es vielleicht weniger, dass Proteste ausbrachen, als vielmehr, dass
es so lange dauerte, bis es dazu kam. Die Arbeitslosen, darunter junge Menschen, die fleißig studiert und alles getan hatten, was von ihnen erwartet worden war (»die sich an die Spielregeln hielten«, wie einige Politiker zu sagen pflegen), standen vor einer schwierigen Entscheidung: arbeitslos bleiben oder eine Stelle annehmen, für die sie weit überqualifiziert waren. In vielen Fällen hatten sie nicht einmal eine Wahl: Es gab einfach keine Arbeitsplätze, und zwar schon seit Jahren. Dass die Massenproteste so lange auf sich warten ließen, lässt sich möglicherweise damit erklären, dass im Anschluss an die Krise große Hoffnungen in die Demokratie gesetzt wurden: Die Menschen glaubten daran, dass sich das politische System bewähren würde, indem es jene zur Rechenschaft zog, die die Krise verursacht hatten, und das Wirtschaftssystem rasch wieder in Ordnung brachte. Aber Jahre nach dem Platzen der Blase zeigte sich klar und deutlich, dass
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