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Der Pistoleiro: Die wahre Geschichte eines Auftragsmörders

Der Pistoleiro: Die wahre Geschichte eines Auftragsmörders

Titel: Der Pistoleiro: Die wahre Geschichte eines Auftragsmörders
Autoren: Klester Cavalcanti
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stöhnen. Erst in den frühen Morgenstunden schlief Júlio auf dem Holzboden ein, an die Hängematte gelehnt, in der sein Onkel lag.
    Um sieben Uhr waren alle bereits wieder wach. Cícero lag immer noch in seiner Hängematte, klagte über Fieber und Schmerzen im ganzen Körper. Ihm sei auch schlecht, sagte er. Die Familie frühstückte Brot, Maniok und gebratenen Fisch, dazu Kaffee. Seu Jorge brachte seinem Bruder ein Stück Brot und Kaffee. Der wollte nichts essen, doch Seu Jorge zwang ihn dazu. Cícero glaubte, sich bei der Arbeit, bei einer seiner Expeditionen in den Urwald mit Malaria infiziert zu haben. Nun konnte man nichts mehr machen außer abwarten; bis heute gibt es kein Medikament gegen Malaria. Dona Marina kümmerte sich um den Hirsch, den Júlio am Tag vorher erlegt hatte. Seu Jorge ging fischen für das Mittagessen. Pedro und Paulo waren im Kanu zur Schule gefahren, einem Holzhaus in einer Ansiedlung, dreißig Minuten entfernt. Die Schule ging bis zur vierten Klasse, und Júlio hatte sie mit vierzehn beendet. Da Cícero so krank war, fühlte er sich verpflichtet, bei ihm zu bleiben.
    Nun waren beide alleine zu Hause, und Cícero begann ein Gespräch, das Júlio sein Leben lang nicht vergessen sollte. In der Hängematte neben seinem Onkel klagte der Junge gerade über die Hitze an diesem Morgen, als Cícero sagte:
    »Júlio, du musst etwas sehr Wichtiges für mich erledigen. Aber du darfst niemandem davon erzählen, auch nicht deinen Eltern oder deinen Brüdern. Nicht einmal Ritinha. Wirklich niemandem.«
    »Sag schon, Onkel.«
    »Es ist etwas sehr Ernstes, Júlão.«
    »He, Onkel! Du kannst sprechen. Du kannst mir vertrauen.«
    »Ich weiß, dass ich dir vertrauen kann. Deswegen bist du auch der Einzige, den ich um diesen Gefallen bitten kann.«
    »Spann mich nicht auf die Folter. Sag schon, Onkel.«
    Was Cícero erzählte, war für Júlio eine Überraschung und machte ihm Angst. Um seinen Lohn als Polizist aufzubessern, hatte Cícero eine zweite, eher außergewöhnliche Nebenbeschäftigung. Er war Auftragsmörder. Schon seit zwei Jahren. Júlio wollte es erst gar nicht glauben. Sein Onkel, den er so sehr verehrte, war ein Mörder, ein Mensch, der für Geld Menschen tötete. Mit aufgerissenen Augen und klopfendem Herzen hörte er zu. Erst hielt er es für einen Witz seines Onkels, dachte, er rede im Fieber. Doch Cícero blieb so ernsthaft und kühl, dass schließlich kein Zweifel mehr blieb. Es war die Wahrheit. Und noch erstaunlicher war, wie er zum Mörder geworden war.
    Cícero Santana erzählte, wie sein Bataillon im Oktober 1969 einmal drei Männer festgenommen hatte, die im Verdacht standen, vier Landarbeiter aus der Gegend um São Francisco do Brejão im Westen von Maranhão ermordet zu haben. Cícero, der erst zwei Monate zuvor in die Polizei eingetreten war, stellte zu seinem großen Erstaunen fest, dass er einen der Gefangenen kannte: Arnaldo Silva, Obstverkäufer aus Imperatriz. Als er ihn fragte, warum er sich mit den Pistoleiros eingelassen habe, erhielt Cícero eine Antwort, die ihn aufhorchen ließ. Die Auftraggeber der Mörder zahlten eintausend Cruzeiros – mehr als das Vierfache des damaligen Mindestlohns 2 . Und mehr als das doppelte seines Monatsgehalts bei der Polizei.
    »Du bist wegen Geld zum Verbrecher geworden?«, fragte Júlio bestürzt.
    »Ich bin kein Verbrecher, mein Junge. Wenn ich diese Arbeit nicht mache, macht sie ein anderer. Sterben muss der arme Mensch sowieso. Und so habe ich wenigstens auch etwas davon.«
    »Aber du bist Polizist! Wie kannst du Polizist sein und gleichzeitig Verbrecher?«
    »Júlio, ich sage doch: Ich bin kein Verbrecher. Durch diese Arbeit kann ich mir nebenher ein paar Dinge leisten. Wovon glaubst du, habe ich dieses Motorboot bezahlt?«
    Die Worte kamen stockend aus Cíceros Mund. Er atmete schwer. Und dann erzählte er, dass er die siebenundneunzig Kilometer von Imperatriz nach Porto Franco nicht nur zurückgelegt habe, um seinen Bruder und seinen Neffen zu sehen, sondern auch, um einen Fischer zu töten, der in der Nähe wohnte: Antônio Martins, achtunddreißig Jahre, geboren in São Geraldo do Araguaia im Südosten von Pará. Alle Welt kannte ihn als »Amarelo«, den Gelben, wegen seiner südbrasilianischen Wurzeln, seiner blonden Haare und der hellen Haut. Er habe aus São Geraldo do Araguaia fortgehen müssen, weil er einen Mann erstochen habe, mit dem seine Geliebte ihn betrogen hatte, brüstete er sich immer. Alle kannten diese
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