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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden
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Nicht einmal, um aufzuräumen.«
    »Das war sehr rücksichtsvoll«, sagte ich leise.
    Ich schaute aus dem Küchenfenster in den kleinen Garten. Das Gras musste gemäht werden, bemerkte ich zerstreut; mitten im Grün ragten die hellen Gipfel von Ameisenkolonien auf. In einer Ecke des Gartens standen Azaleen, der Stolz und die Freude meines Vaters. Er hatte sie jahrelang – du lieber Himmel, jahrzehntelang – gehegt und gepflegt.
    Ich schaute in die Spüle. Sauberes, staubig aussehendes Geschirr stapelte sich darin, und aus dem Abfluss stieg ein schaler Geruch empor. Ich drehte die Wasserhähne auf und kippte den Schimmel aus der Tasse in den Abfluss. Der kalte Tee floss hinein, und die grünen Bakterienklümpchen glitten lautlos davon, aber die Tasse starrte trotzdem noch vor Dreck. Ich suchte nach einem Spülmittel, fand aber keins, nicht einmal in dem kleinen, voll gestopften Schrank unter der Spüle. Ich nahm die Tasse wieder aus der Spüle und schaute hinein. Ich kam mir töricht vor, unnütz, gefangen.
    Peter stand in der Küchentür. »Ich bring dir ein Spülmittel rüber, wenn du willst.«
    »Scheiß drauf«, knurrte ich, trat auf das Pedal des Abfalleimers im Schrank und warf die schmutzige Tasse hinein. Aber der Abfalleimer war halb voll und stank ebenfalls, vielleicht nach verfaultem Obst. Ich kniete mich hin und wühlte in dem Schrank, schob Pappschachteln und vergilbte Plastiktüten beiseite.
    »Was suchst du?«
    »Müllbeutel. Das ist ja vielleicht ein Saustall hier.« Alles wirkte alt, sogar die Dosen und Plastikflaschen mit den Reinigungsmitteln im Schrank – alt, schmutzig, klebrig und halb aufgebraucht, aber nie weggeworfen. Meine Suche wurde rabiater; ich warf alles Mögliche auf den Fußboden.
    »Immer mit der Ruhe«, sagte Peter. »Lass dir ein bisschen Zeit.«
    Er hatte natürlich Recht. Ich zwang mich aufzustehen.
    Er – mein Vater – hatte das stehen lassen, diese paar Teile schmutzigen Geschirrs. Er war nicht mehr zurückgekommen, um den Tee auszutrinken. Er hatte einfach aufgehört zu existieren, sein Leben war abgerissen wie ein Filmstreifen. Jetzt musste ich hier sauber machen, eine Aufgabe, die ich als Kind immer gehasst hatte: Nie hatte er hinter sich aufgeräumt. Aber wenn ich fertig war, würde es damit endgültig vorbei sein, keine schmutzigen Tassen und kein fettiges Geschirr mehr, nie wieder. Zimmer für Zimmer würde ich mich durchs Haus arbeiten und dabei überall eine Unordnung beseitigen, die er nie wieder anrichten würde.
    »Es ist, als würde er ein bisschen mehr sterben«, sagte ich. »Nur weil ich das mache.«
    »Du hattest doch eine Schwester. Sie war älter als wir, oder?«
    »Gina, ja. Sie ist zur Beerdigung rübergekommen, aber schon wieder zurück nach Amerika geflogen. Wir verkaufen das Haus, und jeder kriegt eine Hälfte vom Erlös, wie es Dads Wille war…«
    »Amerika?«
    »Florida.« Mein Großvater mütterlicherseits, ein Italoamerikaner, war als GI im Krieg für kurze Zeit in Liverpool stationiert gewesen. Während dieses Aufenthalts war meine Mutter gezeugt worden, ein uneheliches Soldatenkind. Nach dem Krieg hatte der GI sein Versprechen, nach England zurückzukommen, nicht eingelöst. All das erzählte ich nun Peter. »Aber es gab ein Happy End«, sagte ich. »Irgendwann in den Fünfzigern hat mein Großvater noch einmal Kontakt zu uns aufgenommen.«
    »Schuldgefühle?«
    »Nehme ich an. Er war nie ein richtiger Vater. Aber er hat Geld geschickt und Mum und Gina ein paarmal in die Staaten geholt, als Gina noch klein war. Dann haben wir ein Haus in Florida geerbt. Ein Verwandter, den meine Mutter dort getroffen hatte, hinterließ es ihr. Gina ging rüber, um sich einen Job zu suchen, übernahm schließlich das Haus und gründete eine Familie. Sie arbeitet in der Werbebranche. Tut mir Leid, ist eine komplizierte Geschichte…«
    »Das sind Familiengeschichten immer.«
    »Episodenhaft. Keine ordentliche Erzählstruktur.«
    »Und das bereitet dir Unbehagen.«
    Solch eine scharfsichtige Bemerkung hätte ich von dem Peter, den ich kannte, nicht erwartet. »Ja, wahrscheinlich. Es ist alles ein ziemlicher Wirrwarr. Wie ein Spinnennetz. Ich dachte, ich hätte mich daraus befreit, indem ich mir in London eine Existenz aufgebaut habe. Aber jetzt werde ich wieder darin verstrickt.« Und das ärgerte mich, erkannte ich, noch während ich versuchte, diese wenigen letzten Pflichten für meinen Vater zu erledigen.
    Peter fragte: »Hast du Kinder?«
    Ich schüttelte den
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