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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden
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Kackwurst auf dem Fußboden. Kinder, hatte die Polizei gesagt. Panikreaktionen. Mein Vater war kein ängstlicher Mensch gewesen, aber es hatte ihm Kummer bereitet, dass seine Kräfte nachließen und er sich nicht mehr so wie früher gegen die grausame Selbstsucht anderer wehren konnte. Ich hatte die Alarmanlage gekauft und einbauen lassen, muss aber zu meiner Schande gestehen, dass ich sie an diesem Tag zum ersten Mal wahrnahm.
    Alarmanlage hin oder her, in der Haustür gähnte eine kaputte und noch nicht reparierte Fensterscheibe.
    »George Poole. Du bist George, hab ich Recht?«
    Ich drehte mich überrascht um. Vor mir stand ein massiger Mann mit schütterem Haar. Seine Kleidung wirkte irgendwie unpassend, vielleicht zu jugendlich für ihn – leuchtend gelbes T-Shirt, Jeans, Turnschuhe, ein klobiges Handy in der Brusttasche. Trotz seiner bärengleichen Statur wirkte er schon auf den ersten Blick irgendwie schüchtern; er hatte die Schultern hochgezogen, als wollte er seine Größe kaschieren, und seine vor dem Bauch verschränkten Hände zupften aneinander.
    Und trotz der ergrauenden Haare, der hohen Stirn und seiner schwabbelig gewordenen Hals- und Kinnpartie erkannte ich ihn sofort.
    »Peter?«
    Er hieß Peter McLachlan. Wir waren gleichzeitig eingeschult worden, hatten meist sogar dieselbe Klasse besucht. In der Schule war er immer Peter gewesen, nie Pete oder Petie, und daran hatte sich wohl auch nichts geändert.
    Er streckte mir die Hand hin. Sie war kalt und feucht, sein Händedruck zaghaft. »Ich habe dich parken sehen. Du bist bestimmt überrascht, mich hier anzutreffen.«
    »Eigentlich nicht. Mein Vater hat öfters von dir gesprochen.«
    »Hübscher Dufflecoat«, sagte er.
    »Was?… O ja.«
    »Erinnert mich an die Schulzeit. Wusste gar nicht, dass man die Dinger noch kriegt.«
    »Er stammt aus einem speziellen Kleiderladen für stilistisch Zurückgebliebene.« Das stimmte.
    Wir standen einen Moment lang verlegen herum. Ich hatte mich in Peters Gegenwart schon immer unwohl gefühlt, denn er war einer jener Menschen, die sich in Gesellschaft anderer nie entspannen konnten. Und etwas an seinem Gesicht war anders; ich brauchte ein paar Sekunden, um dahinter zu kommen: Die dicke Brille fehlte, die er als Kind in den Siebzigern immer hatte tragen müssen. Ich sah auch keine Vergrößerung der Pupillen, jenes verräterische Kennzeichen von Kontaktlinsen; vielleicht hatte er eine Laseroperation vornehmen lassen.
    »Tut mir Leid, dass ich eure Fensterscheibe zerbrochen habe«, sagte er.
    »Du warst das?«
    »Ja, in der Nacht, als er gestorben ist. Dein Vater kam nicht an die Tür, als ich ihm seine Abendzeitung brachte. Ich dachte, ich schaue lieber mal nach ihm…«
    »Du hast ihn gefunden? Das wusste ich nicht.«
    »Ich hätte ins Haus gemusst, um das Fenster zu reparieren, und das wollte ich nicht, bevor du… du weißt schon.«
    »Ja.« Sein Zartgefühl bewegte mich, und ich fühlte mich auf unbestimmte Weise schuldig, weil keiner von uns daran gedacht hatte, ihn zur Beerdigung einzuladen. Ich klopfte ihm behutsam auf die Schulter und spürte die Muskeln unter seinem Ärmel.
    Aber er wich zurück. »Tut mir Leid, das mit deinem Vater«, sagte er.
    »Mir tut’s Leid, dass du ihn finden musstest.« Ich wusste, dass er noch mehr erwartete. »Und danke, dass du nach ihm gesehen hast.«
    »Hat ihm leider nicht viel genützt.«
    »Aber du hast es versucht. Er hat mir erzählt, dass du dich immer um ihn gekümmert hast – Rasenmähen…«
    »War nicht der Rede wert. Immerhin kannte ich ihn von klein auf.«
    »Ja.«
    »Du warst noch nicht drin, oder?«
    »Das weißt du doch, wenn du mich parken gesehen hast«, sagte ich ein bisschen spitz.
    »Soll ich mit reinkommen?«
    »Ich will dir nicht noch mehr Umstände machen. Überlass das nur mir.«
    »Es macht mir keine Umstände. Aber ich will mich nicht aufdrängen…«
    Immer noch verlegen, drehten wir uns im Kreis. Am Ende nahm ich sein Angebot natürlich an.
    Wir gingen die Auffahrt hinauf. Sogar der Asphalt war verwittert, bemerkte ich beiläufig; er knackte leise unter meinem Gewicht. Ich brachte einen Schlüssel zum Vorschein, den mir das Krankenhaus zusammen mit der Todesnachricht geschickt hatte, steckte ihn in das Yale-Schloss und stieß die Tür auf.
    Ein lautes Piepsen ertönte. Peter langte an mir vorbei und gab einen Code in ein Steuerkästchen ein, das sich in einem offenen Schrank auf der Veranda befand. »Er hat mir den Code gegeben«, sagte er. »Für
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