Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Omega-Punkt: Roman (German Edition)

Der Omega-Punkt: Roman (German Edition)

Titel: Der Omega-Punkt: Roman (German Edition)
Autoren: Don DeLillo
Vom Netzwerk:
Zugriffs gelegen. Er hatte darauf gewartet, dass eine Frau ankam, eine Frau allein, mit der er reden könnte, hier an der Wand, flüstern, sparsam natürlich, oder später irgendwo Gedanken und Eindrücke austauschen, was sie gesehen hatten und wie sie das fanden. War es nicht genau das? Er dachte an eine Frau, die hereinkommen, eine Zeit lang bleiben und zusehen würde, sich einen Platz an der Wand suchen, für eine Stunde, eine halbe Stunde, das reichte, eine halbe Stunde, das genügte, eine ernsthafte Person, mit leiser Stimme und einem blassen Sommerkleid.
    Wichser.
    Es fühlte sich real an, das Tempo war auf paradoxe Weise real, Körper bewegten sich musikalisch, bewegten sich kaum, zwölftönend, es geschah kaum etwas, Ursache und Wirkung waren so drastisch auseinandergezogen, dass es ihm real vorkam, so wie all die Dinge in der greifbaren Welt, die wir nicht verstehen, angeblich real sind.
    Die Tür glitt auf, am Ende der Etage herrschte Unruhe, ein schwaches Hin und Her, Leute betraten die Rolltreppe, ein Angestellter zog Kreditkarten durch, ein Angestellter steckte Waren in große schlanke Museumstüten. Licht und Klang, wortlosmonoton, eine Anmutung von Jenseitsleben, Jenseitswelt, die merkwürdige, leuchtende Tatsache, die da draußen atmet und isst, dieses Ding, das nicht Kino ist.

1
    Das wahre Leben lässt sich nicht auf gesprochene oder geschriebene Worte reduzieren, von niemandem, niemals. Das wahre Leben findet statt, wenn wir allein sind, denken, fühlen, verloren in Erinnerungen, träumerisch unserer selbst bewusst, in submikroskopischen Momenten. Er sagte das mehr als einmal, Elster, auf mehr als eine Weise. Sein Leben geschah, sagte er, wenn er dasaß, an eine leere Wand starrte und ans Abendessen dachte.
    Eine achthundertseitige Biografie ist nichts als Mutmaßungsballast, sagte er.
    Fast glaubte ich ihm, wenn er so etwas sagte. Er sagte, das tun wir die ganze Zeit, wir alle, im Strom von Gedanken und trüben Bildern werden wir zu uns selbst und fragen uns träge, wann wir sterben müssen. So leben und denken wir, ob wir es wissen oder nicht. Derlei ungeordnete Gedanken haben wir, wenn wir aus dem Zugfenster blicken, kleine matte Kleckse meditativer Panik.
    Die Sonne brannte herab. Das wollte er, spüren, wie die harte Hitze auf seinen Körper einschlug, den Körper selbst spüren, den Körper lösen aus dem, was er den Ekel von Nachrichten und Verkehr nannte.
    Hier war Wüste, fernab von Städten und Streusiedlungen. Essen, schlafen und schwitzen, dazu war er hier, nichts tun, dasitzen und denken. Es gab das Haus und dann nichts als die Ferne, keine Aussichten oder weit reichende Perspektiven, nur die Ferne. Nicht mehr reden, sagte er, dazu war er hier. Es gab niemanden zum Reden außer mir. Er tat es zunächst sparsam und nie beim Sonnenuntergang. Das waren keine prachtvollen Pensionärssonnenuntergänge aus Aktien und Wertpapieren. Für Elster war der Sonnenuntergang eine Menschenerfindung, Licht und Raum, durch unsere Wahrnehmung arrangiert zu Elementen des Staunens. Wir schauten und staunten. In der Luft war ein Zittern, als die unbenannten Farben und Landschaftsformen Schärfe gewannen, eine Klarheit in Kontur und Ausmaß. Vielleicht war es der Altersunterschied zwischen uns, der mich auf den Gedanken brachte, er müsse im letzten Tageslicht etwas anderes fühlen, eine hartnäckige Unruhe, nicht aufgesetzt. Das würde das Schweigen erklären.
    Das Haus war ein trauriger Mischling. Ein Wellblechdach auf holzverschalten Wänden, davor ein unfertiger Weg aus Steinplatten, und an der Seite ragte eine drangeklebte Terrasse hervor. Dort saßen wir während seiner stummen Stunde, flammender Himmel, nah herangerückte, im weißen Zenit kaum sichtbare Hügel.
    Nachrichten und Verkehr. Sport und Wetter. So seine ätzenden Begriffe für das Leben, das er hinter sich gelassen hatte, über zwei Jahre mit den Kleingeistern, die den Krieg führten. Alles Hintergrundgeräusche, sagte er mit einem Wedeln der Hand. Das mochte er, abfällig mit der Hand wedeln. Die Risikokalkulationen und Strategiepapiere, die ressortübergreifenden Arbeitsgruppen. Er war der Außenseiter, ein Gelehrter von hohem Ansehen, aber ohne Regierungserfahrung. Er saß in einem sicheren Konferenzraum mit den Strategieplanern und Militäranalytikern an einem Tisch. Er sollte konzeptualisieren, das war sein Ausdruck, in Anführungszeichen, sollte übergeordnete Gedanken und Prinzipien auf Bereiche wie Truppeneinsatz und Bekämpfung
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher