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Der neue Jugendterror

Der neue Jugendterror

Titel: Der neue Jugendterror
Autoren: Thilo Sarrazin
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wollte, zog es häufig vor, nicht so scharf zu denken. Viele Ideen haben einen guten Kern, aber sie gelten halt nicht überall und bei ganz unterschiedlichen Gegenständen. Überzieht man sie, dann können sie verderblich sein. Man denke nur an den »Shareholder Value« der New Economy.
    Das gilt auch für die Idee der Gleichheit. Ein marodierendes Gleichheitsbedürfnis wirkt bei der Betrachtung der Gesellschaft und ihrer Wirklichkeit wie eine Zerrbrille. Es bewirkt eine Moralisierung von Fragestellungen und eine Beschränkung von zulässigen Antworten, die leicht das Hirn vernebelt.
    Wer sich auf Gleichheit fixiert, sperrt sich zudem gegen wichtige Erkenntnisquellen: Jeder Antrieb in der physischen Wirklichkeit und in der Gesellschaft ergibt sich nämlich aus dem Spannungsfeld von Differenzen: Der Verbrennungsmotor funktioniert nur aus dem Verhältnis von Überdruck und Unterdruck, und demselben Prinzip folgt die Entstehung eines jeden Lufthauchs. Das Lebensprinzip und das Gesetz der natürlichen Evolution bestehen immer darin, dass das aus Ungleichheit sich ergebende Gefälle in irgendeiner Weise genutzt wird. Darum veränderten die Darwin’schen Finken so schnell ihre Schnabelform, und darum revolutionierte in nur zwei Jahren das Smartphone den Handy-Markt.
    Nach dem Scheitern der unterschiedlichsten Gesellschaftsutopien blieb die Gleichheitsidee als ihr kollektives Waisenkind in der Welt. Sie prägte die katholische Soziallehre, den Feminismus, die Bewegung der Schwulen und Lesben, die Theologie-, Philosophie- und Soziologie-Lehrstühle und sowieso alle heimatlos gewordenen Sozialisten, Marxisten und ihre geistigen Erben. Und natürlich war und ist sie an zentraler Stelle in den Köpfen unserer mehrheitlich links, grün und sozial eingestellten Medienvertreter.
    Mein Buch Deutschland schafft sich ab handelte von dem Gegenteil von Gleichheit, nämlich von Unterschieden und ihren Wirkungen. Es war gerade deshalb eine ungeheure Beleidigung der Gleichheitsidee, weil es in einem überschaubaren Bezugsrahmen bei transparenten Annahmen mit simpler Dreisatz-Logik argumentierte.
    Das Gleichheits-Imperium schlug zurück, und darauf war ich nicht vorbereitet, denn über die Gleichheitsfrage hatte ich mir im Zusammenhang mit den von mir behandelten Fragen gar keine Gedanken gemacht. Das holte ich dann nach, und bei der Frage, wie die Dominanz der Gleichheitsideologie überhaupt entstehen konnte, kam ich auf die Mechanismen von Meinungsbildung und die Rahmenbedingungen von Meinungsfreiheit.
    Daraus entstand der Bogen dieses Buches: Es beginnt mit einer grundsätzlichen Betrachtung der Bestimmungsgründe und Grenzen von Meinungsfreiheit und analysiert sodann meine konkreten Erlebnisse mit Meinungsherrschaft. In der Folge führt es von der Frage, in welchen sozialen Mechanismen Meinung entsteht und was das für die Meinungsfreiheit bedeutet, zum Thema der Sprache, zur Geschichte des Tugendterrors und schließlich zur Axiomatik der spezifischen Form des Tugendterrors, unter der wir heute leiden, nämlich dem Gleichheitswahn.
    Bei diesem letzten und längsten Teil des Buches habe ich es mir nicht leicht gemacht. Ich wollte nicht einfach über etwas schimpfen, was mir nicht gefällt. Ich bin ein Diskussionsveteran. In meiner Schulzeit war ich in einer recht links eingestellten Pfadfindergruppe. Bereits als ich zwölf oder 13 Jahre alt war, unterwies uns unser Sippenführer zum Unterschied von Histomat und Diamat und erklärte uns, weshalb eine Marktwirtschaft nicht funktionieren könne. Mir allein fiel die Rolle zu, gleichzeitig NATO und Kapitalismus zu verteidigen, denn alle anderen waren links. Später dann studierte mein Sippenführer Theologie und wurde evangelischer Pastor.
    Das war für mich aber nur der Beginn einer lebenslang währenden Diskussion mit überzeugten Wahrheitssuchern über die ganze Kette linker Themen. Deshalb kam ich im rot-grünen Berliner Senat auch mit den Vertretern der PDS so gut aus: Ich wusste, wie sie dachten, war immer dagegen und konnte es doch stets nachvollziehen.
    Die 14 Axiome des Gleichheitswahns habe ich zunächst immer aus einer Pro-Position heraus formuliert, und zwar so klar und so scharf, wie es ein Befürworter nur tun könnte. Dem habe ich die Kontra-Position gegenübergestellt. Urteilen soll dann der Leser und für sich entscheiden, welche Position ihn jeweils mehr überzeugt.
    Natürlich hängen die 14 Axiome miteinander zusammen. Es ist ein bisschen wie bei Amazon: »Wer X liest,
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