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Der Nebelkönig (German Edition)

Der Nebelkönig (German Edition)

Titel: Der Nebelkönig (German Edition)
Autoren: Susanne Gerdom
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des Gebäudes, weit entfernt von der Herrlichkeit der Bibliothek und
tief, tief darunter. Sie hatte einen der Diener von einer Treppe erzählen
hören, die angeblich den Osttrakt mit dem Hauptgebäude verband. Immer wieder
hatte sie danach gesucht, weil eine solche Verbindung eine ordentliche Abkürzung
des Weges bedeutet hätte. Aber bisher war es ihr nicht gelungen, die besagte
Treppe zu finden.
    »Treppe«, sang sie halblaut.
»Treeeeppe. O Trepepep-pe, wo bist du?« Sallie ließ ihre Finger im Gehen über
den bröckelnden Putz der Wand tanzen. Das Nachtlicht glomm in diesem Teil des
Hauses grünlich, was ihren Händen mit den aufgesprungenen Knöcheln eine
widerwärtig kranke Farbe verlieh.
     
    Hinter ihr erklangen rennende
Schritte, die dumpf von den Wänden widerhallten. Sallie hörte auf zu singen und
drehte neugierig den Kopf.
    Mit hochrotem Kopf und sich
wild sträubendem Haar trabte einer der rundlichen Beiköche auf sie zu. Seine
Hände bemühten sich vergebens, die lange Schürze zu bändigen, die um seine
Beine flatterte wie ein großer, panischer Vogel. Die Bänder der Schürze flogen
zuckend hinter ihm durch die Luft.
    Sallie drückte sich an die
Wand, um nicht niedergetrampelt zu werden, und rief: »Afrim, was ist los?«
    Der Beikoch würdigte sie weder
eines Blickes noch einer Antwort. Er schnaufte so dicht an ihr vorüber, dass
ihre Zöpfe im Wind flatterten, und verschwand hinter der Biegung des Ganges.
    Das Mädchen lachte leise und
strich sich die Haare aus dem Gesicht. In der Küche war immer Alarmstimmung,
wenn der kahle Leka Dienst als Küchenchef tat. Wahrscheinlich hatte einer der
Herren aus den oberen Geschossen sich entschieden, einen kleinen Nachtimbiss zu
sich zu nehmen.
    Sallie zögerte. Wenn sie sich in
der Nähe der Küche aufhielt, war die Gefahr groß, dass sie gleich wieder an
ihren Spülbottich oder ans Hackbrett zurückbeordert wurde. Leka nahm keine
Rücksicht darauf, ob eins der Küchenmädchen oder ein Scheuerjunge schon seine
zwölf Stunden oder mehr Dienst für den Tag getan hatte.
    Sie sah sich um. Wenn sie den
nördlichen Kellergang in Richtung Küchengarten nahm, konnte sie das Stück durch
den Garten laufen und dann versuchen, sich durch die Waschküchentür und den vorderen
Vorratsraum hinaus in den Quartiertrakt zu schleichen. Mit ein bisschen Glück
erwischte Leka sie dabei nicht.
    Sallie kehrte um und stieg die
schmale Stiege zum nördlichen Kellergang hinab. Den Gang nahm sie sehr ungern,
er war dunkel, immer ein wenig feucht und seine Wände und die niedrige Decke
schienen auf sie zu drücken.
    Sie atmete erleichtert auf,
als sie die Tür zum Küchengarten aufdrückte. Ein paar Stufen hinauf, dann sog
sie die frische, ein wenig feuchte Abendluft ein, die nach Minze und Petersilie
roch.
    Etwas raschelte zwischen den
Bohnen. Sallie erstarrte. »Sallie«, schnurrte eine sanfte Stimme. »Solltest du
nicht längst im Bett sein?«
    Sallie stieß den angehaltenen
Atem aus. »Kaltrina«, sagte sie erleichtert. »Hast du mich erschreckt.«
    Die schlanke, geschmeidige
Gestalt ließ sich neben ihr auf der gemauerten Einfassung der Treppe nieder und
neigte anmutig den Kopf. »In der Küche toben die Dämonen«, sagte sie. »Ich habe
mir lieber ein ruhiges Plätzchen im Garten gesucht.«
    »Dreht Leka wieder mal durch?«
    »Kammerherr Krikor hat sich
plötzlich entschlossen, ein ›kleines‹ Diner für ein ›paar‹ Gäste zu geben«,
erklärte Kaltrina. »Leka hat daraufhin die Tagschicht wieder aus den Betten
geholt.« Sie blinzelte Sallie zu. »Gut, dass du unterwegs warst.«
    Sallie gluckste. Kaltrina
wandte den Kopf und gähnte damenhaft, wobei sie weiße Zähne und eine
rosafarbene Zunge zeigte, die sich zierlich rollte.
    »Wo ist dein Gatte?«, fragte
Sallie.
    Kaltrinas minzgrüne Augen
verengten sich zu feurig blitzenden Schlitzen. »Ssssss«, fauchte sie. »Frag
mich lieber nicht nach diesem Schleckerleckermaul! Er ist sicher wieder hinter
dieser blonden Zigeunerin her, kann ja keinem hübschen Lärvchen widerstehen!
Oder besser: keinem aufreizend wackelnden Hinterteil«, fügte sie finster hinzu.
    Sallie streichelte ihr über
den Rücken, aber Kaltrina schüttelte ihre Hand unwillig ab. »Nur kein Mitleid«,
knurrte sie und fuhr die Krallen aus. »Wenn er sich hier blicken lässt und er
riecht nach dieser Schlampe, zerkrrrratze ich ihm das Gesicht!«
    Sallie seufzte. Der dunkle
Luan war ein verflucht hübscher, ein wenig verwegen aussehender Bursche, der
mit seinem
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