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Der Nautilus-Plan

Der Nautilus-Plan

Titel: Der Nautilus-Plan
Autoren: Gayle Lynds
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abendlichen Bartschattens unbemerkt bliebe. Als sein Kopf losgelassen wurde, durchflutete ihn eine Welle der Benommenheit, und er drehte sich entsetzt um, versuchte seinen verschwommenen Blick scharf zu bekommen, während der Killer bereits wieder hinter den Vorhängen verschwand. Ein ungeheurer Schmerz schien sein Herz zu sprengen. Empört wurde ihm bewusst, dass an diesem Abend doch ein Menschenleben geopfert wurde. Seine Beine versagten ihm den Dienst, und er fiel hintenüber, tot.

TEIL I
     
     
     
    Die Kaninchenfalle existiert wegen des Kaninchens.
    Sobald man das Kaninchen hat,
    braucht man die Falle nicht mehr.
     
    DSCHUANG DSE
     

EINS
Brüssel, Mai 2003
    Seinen Ebenholzstock mit dem Silbergriff schwingend, spazierte Gino Malko in einem der konservativen Anzüge, die sein Markenzeichen waren, durch das Viertel um die Rue St-Catherine im Zentrum der Unterstadt und genoss das kühle Sonnenlicht des europäischen Frühlings. Wenn er von Zeit zu Zeit den Kopf zurückwarf und die Augen schloss, um die Sonne sein Gesicht wärmen zu lassen, wich er den anderen Fußgängern aus, als hätte er ein Radargerät eingebaut.
    Schließlich machte er im Café Le Cerf Agile Halt und setzte sich im Freien an einen mit weißer Spitze gedeckten Tisch.
    Der aufmerksame Kellner war sofort zur Stelle. »Guten Morgen, Monsieur. Wieder ein herrlicher Tag heute, nicht?«, sagte er auf Englisch. »Das Übliche?«
    »Ja, bitte, Ruud«, antwortete Malko lächelnd, in Einklang mit seiner Rolle.
    Malko gab großzügig Trinkgeld, weshalb der Kellner rasch mit einem Café au lait und zwei Croissants zurückkam. Malko nickte dankend, schenkte sich aus den zwei Silberkannen ein, rührte um und biss in das Hörnchen. Er lehnte sich behaglich zurück, um die Scharen von Einheimischen, Nato-Angehörigen, Geschäftsleuten, Touristen und EU-Mitarbeitern zu beobachten, die an ihm vorbeigingen. Für Touristen war es zwar noch früh, aber das herrliche Frühlingswetter hatte einige angelockt.
    Er war bei seinem zweiten Croissant, als er die Zielperson entdeckte. Beiläufig nach seinem Stock greifend, stand er auf und ordnete sich unauffällig in den Strom der Passanten ein. Scheinbar wegen des dichten Gedränges hielt er den Stock aufrecht am Körper.
    Fast zwangsläufig stieß er mit ein paar Leuten, darunter auch seiner Zielperson, zusammen. Jedes Mal sein Bedauern zum Ausdruck bringend, kehrte er schließlich, als ob ihm das Gedränge zu groß wäre, in das Café zurück.
    Eine Frau schrie auf. Alle sahen in ihre Richtung. Neben ihr war ein großer, schlanker Mann mit mediterranem Teint auf den Bürgersteig gesunken und hielt sich die Brust.
    Während auf der Straße der dichte Brüsseler Verkehr weiter dahinrauschte, strömten auf dem Bürgersteig die Menschen zusammen und riefen auf Französisch, Flämisch und Englisch aufgeregt durcheinander.
    »Er bekommt keine Luft!«
    »Ruft den Notarzt!«
    »Kann ihn jemand beatmen?«
    »Machen Sie Platz, ich bin Arzt!«
    Malko, der inzwischen wieder an seinem Tisch im Café zurück war, trank seinen Kaffee, aß sein Croissant und beobachtete, wie sich der Arzt einen Weg durch die Menge bahnte. Die Menschen blickten, miteinander flüsternd, gebannt nach unten. Als Malko sein Croissant zu Ende gegessen hatte und seine Finger säuberte, ging ein erschrockenes Beben durch die Menge.
    Fast im selben Moment kämpfte sich ein Mann in Hemdsärmeln nach draußen und holte sein Handy heraus. Vor Aufregung war sein Gesicht heftig gerötet. »In der Nähe der Rue St-Catherine ist ein Unglück passiert!«, gab er auf Französisch durch. »Herzinfarkt – hat jedenfalls ein Arzt gerade gesagt. Was? Ja, er ist tot. Jemand Wichtiges? Halten Sie sich fest: Es ist EU-Wettbewerbskommissar Franco Peri! Bringen Sie das umgehend. Ja, als erste Meldung. Bringen Sie alles, was Sie sonst haben, nach dieser Meldung!«
    Gino Malko lächelte, legte ein paar Euro auf den spitzengedeckten Tisch und entfernte sich stockschwingend. In fünf Minuten wäre er in seinem Hotel. In zehn hätte er ausgecheckt. Und in fünfzehn säße er in einem Taxi zum Flughafen.
     
     
University of California
Santa Barbara
Juli 2003
    Es war kurz nach neun Uhr morgens, und die Campbell Hall, deren Sitzreihen wie bei einem Amphitheater nach oben anstiegen, war bis auf den letzten Platz besetzt. Liz Sansborough, die die letzte Vorlesung des Sommersemesters hielt, ließ den Blick über die Studenten gleiten. Ihre gleichgültigen, interessierten, blank
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