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Der Modigliani Skandal

Der Modigliani Skandal

Titel: Der Modigliani Skandal
Autoren: Ken Follett
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fügte sie hinzu.
    Der Bäcker glaubte, einen Akzent herauszuhören - einen englischen Akzent. Aber vielleicht bildete er sich das nur ein, weil das irgendwie zu ihrem Teint paßte. Während sie die Straße überquerte, starrte er auf ihr Hinterteil, fasziniert von der Muskelbewegung unter dem Baumwollstoff. Wahrscheinlich kehrte sie jetzt zurück in die Wohnung irgendeines jungen, wildmähnigen Musikers, der nach einer Nacht voller Ausschweifungen noch immer im Bett lag.
    Die schrille Stimme von Jeanne-Marie näherte sich und ließ die Phantasien des Bäckers in tausend Stücke springen. Er seufzte tief und warf die Münzen in die Ladenkasse.
    Dee Sleign mußte unwillkürlich lächeln, als sie die Bäckerei verließ. Die Legende entsprach der Wahrheit: Franzosen waren sinnlicher als Engländer. Der Bäcker hatte sie mit unverhohlen lüsternen Blicken betrachtet, die Augen präzise auf ihr Becken gerichtet. Ein englischer Bäcker würde äußerstenfalls verstohlen nach ihren Brüsten gespäht haben.
    Sie kippte ihren Kopf ein wenig in den Nacken und strich sich das Haar hinter die Ohren zurück, um die warme Sonne auf ihrem Gesicht zu fühlen. Einfach wunderbar, dieses Leben, dieser Sommer in Paris. Keine Arbeit, kein Examen, keine Vorlesungen. Statt dessen: mit Mike schlafen, spät aufstehen; guter Kaffee und frisches Brot zum Frühstück; ausgiebig Zeit, um Bücher zu lesen und Gemälde zu betrachten; Abende mit interessanten, exzentrischen Menschen.
    Bald würde es damit vorbei sein. Bald schon würde sie sich entscheiden müssen, welchen Weg sie für ihr künftiges Leben einschlagen wollte. Momentan jedoch befand sie sich in einer Art von privatem Zwischenreich: Sie konnte die Dinge, die sie mochte, genießen, ohne in das Joch eines strikten Tagesablaufs eingespannt zu sein.
    Sie bog um eine Straßenecke und betrat ein kleines, unauffälliges Wohnhaus. Als sie an der Loge mit dem winzigen Fenster vorbeiging, ertönte die schrille Stimme der Concierge.
    »Mademoiselle!«
    Die grauhaarige Frau sprach jede Silbe deutlich aus und verstand es, dem Wort einen anklagenden Klang zu geben: Sie verkündete der Welt die skandalöse Tatsache, daß Dee mit dem Mann, dem die Wohnung gehörte, nicht verheiratet war. Dee mußte wieder lächeln. Eine Liebesaffäre in Paris ohne eine moralinsaure Concierge - da hätte irgendwas gefehlt.
    »Telegramme«, sagte die Frau. Sie legte einen Umschlag auf das Fensterbrett und zog sich wieder in ihre düstere, nach Katzen riechende Loge zurück: schob gleichsam eine Trennwand zwischen sich und dieses junge Mädchen mit der lockeren Moral und dem dubiosen Telegramm.
    Dee nahm den Umschlag und lief die Treppe hinauf. Das Telegramm war an sie gerichtet, und sie wußte, was es enthielt.
    Sie betrat die Wohnung und legte in der kleinen Küche das Brot und das Telegramm auf den Tisch. Dann schüttete sie Kaffeebohnen in eine elektrische Kaffeemühle und drückte auf den Knopf; die Maschine setzte sich in Bewegung und begann knirschend, die braunschwarzen Bohnen zu mahlen.
    Wie zur Antwort surrte plötzlich Mikes elektrischer Rasierapparat. Mitunter war die Aussicht auf eine Tasse Kaffee das einzige, was ihn aus dem Bett locken konnte. Dee brühte eine ganze Kanne auf und schnitt die frischen Baguetten in Scheiben.
    Mikes Wohnung war klein und recht altmodisch und unattraktiv möbliert. Er hatte sich etwas Besseres gewünscht und hätte sich das zweifellos auch leisten können. Dee jedoch hatte darauf bestanden, daß sie sich von Hotels und vornehmen Wohnvierteln fernhielten. Sie wollte den Sommer mit Franzosen verbringen, nicht mit dem internationalen Jet-set; und sie hatte ihren Kopf durchgesetzt.
    Das Surren des Rasierers verstummte, und Dee füllte zwei Kaffeetassen.
    Während sie die Tassen auf den runden Holztisch stellte, kam Mike herein. Er trug seine ausgeblichenen, geflickten Jeans und ein blaues, am Halse offenes Baumwollhemd, das den Blick freigab auf ein Büschel schwarzer Haare und ein Medaillon an einer kurzen Silberkette.
    »Guten Morgen, Liebling«, sagte er. Er kam um den Tisch herum und küßte sie. Sie schlang die Arme um seine Taille, zog ihn dicht an sich und küßte ihn leidenschaftlich.
    »Wow! Ganz schön wild für den frühen Morgen«, sagte er und bedachte sie mit einem breiten kalifornischen Lächeln, während er Platz nahm.
    Dee betrachtete den Mann, der jetzt behaglich seinen Kaffee schlürfte; und unwillkürlich fragte sie sich, ob sie sich wünschte, ihr ganzes
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