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Der Metzger sieht rot

Der Metzger sieht rot

Titel: Der Metzger sieht rot
Autoren: Thomas Raab
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Kreuzberger mithalten kann und dass sie froh sein können, so einen guten Ersatztorhüter zu haben, und dass sie ohnedies schon alle im Vorhinein gewusst haben, welch unbändige Kraft eines Löwen und reaktionsschnelle Wendigkeit einer Gazelle in dem Schwarzafrikaner stecken. Er, der Held, Kwabena, was für ein toller Name – kurz zuvor haben sie ihm noch verbal die Würde geraubt, ihn akustisch gegeißelt und singend beerdigt, und jetzt, Minuten später, feiern sie ihn mit einem Bier in der einen und einem Würstel in der anderen Hand. Kwabena Owuso hat bis zu seiner Auferstehung nicht drei Tage gebraucht.
    Zum Glück hat der Metzger sein Würstel noch nicht gegessen, denn so zum Speiben wie in Anbetracht dieses erbärmlichen Geschwätzes, dieser Falschheit, dieser lautstarken Definition des Begriffs „Menschlichkeit“ war ihm schon lang nicht mehr! Der Mensch, die Krone der Schöpfung, denkt er sich angewidert, wobei ihm da weniger das Juwel auf königlichen Häuptern als vielmehr der Zahnersatz auf angefaulten Gebissresten durch den Kopf geht. Beim Übertünchen der eigenen Grauslichkeit ist der Mensch ja wahrlich Weltklasse, nur bei Massenaufläufen kennt der Primärinstinkt keine Gnade, und die ganze Verderbtheit und Unaufrichtigkeit dunsten unter dem Zahnersatz hervor, dass es einem den Magen umdreht.
    Logisch, dass Kwabena Owuso beim Beginn der zweiten Hälfte einen Begrüßungsapplaus abbekommt, den er sein Lebtag nicht mehr vergessen wird – lang braucht er sich den aber gar nicht zu merken.
    Zuerst ist dem Metzger aufgefallen, dass er so blass aussieht.
    Sogar aus den hinteren Reihen hört er ein verwundertes „Schau, wie der Owuso ausschaut, hätt i ma nicht gedacht, dass ma siecht, wann a Neger blass wird!“
    Und schon wieder ist der Metzger froh über das Würstel, nur diesmal, weil er es dann gar nicht mehr gegessen hat. Für die Menschheit braucht man einfach einen leeren Magen.
    Den Eindruck macht auch Kwabena Owuso, als täte ihm ein leerer Magen jetzt recht gut. Verwundernd, dass jemand, der so schlecht aussieht, doch noch fähig ist, sportliche Höchstleistungen zu bringen. Denn trotz Blässe wirkt er höchst motiviert, geradezu überdreht. Dann kommt die erste Parade, etwas langsam reagiert der Ghanaer, trotzdem umfängt er sicher den Ball und lässt sich in typischer Tormannmanier hinfallen. Großer Beifall der eigenen Fans. Nur wie lange soll nun so ein Applaus für gewöhnlich dauern? Bis der Tormann wieder aufsteht? Langsam und irgendwie hilflos verebbt der Beifall. Statt des Balls rollen die Augen des Torhüters wie die des Cerberos, nach einigen Muskelzuckungen bewegt sich nur noch der Speichel, der langsam aus dem offenen Mund der Schwerkraft folgt, dann verstummt auch das letzte Klatschen.
    Kwabena Owuso wird nicht mehr aufstehen.

3
    Serginho, Fußballprofi des Fußballvereins São Caetano, brach während eines Spitzenspiels gegen den FC São Paulo in der 59. Spielminute zusammen und starb. Er war 30 Jahre alt.
    Cristiano de Lima Junior, brasilianischer Profi-Fußballspieler, brach während des Finales um den indischen Föderationen-Cup, nachdem er Sekunden zuvor das 2:0 für seinen Verein erzielt hatte, am Spielfeld zusammen und starb. Er war 25 Jahre alt.
    Miklós Fehér, Stürmer der ungarischen Fußballnationalmannschaft, erlitt kurz vor Spielende im Meisterschaftsspiel Vitoria Guimarães gegen Benfica Lissabon einen Herzinfarkt. Versuche, ihn auf dem Spielfeld wiederzubeleben, blieben erfolglos. Er war 24 Jahr alt.
    Der schottische FC Motherwell-Profi Phil O’Donnell brach in einer Ligapartie zusammen. Er verstarb 35-jährig im Krankenwagen.
    Kwabena Owuso wäre in drei Wochen 27 Jahre alt geworden.
    Der Tod hat eine nicht zu verachtende Reihe berühmter Namen schon direkt vom Spielfeld zu sich gerufen. Owuso wird sich spektakulär in diese Reihe einordnen – auch wenn er sich zu Lebzeiten nicht unbedingt einordnen wollte – und seinen Gedenkstein bekommen. So ein plötzliches Herzversagen inmitten erlebnisdurstiger Zuschauermassen, live, unzensiert, das wünscht sich eigentlich keiner, wenn die Eintrittskarte entwertet wird. Aber eben nur eigentlich.
    Zufrieden lächelt sie in sich hinein, als die Sanitäter den leblosen Kwabena auf die Bahre legen. Die Stille im Stadion ist erdrückend, nur vereinzelt ist knisternd das Zerbeißen von Popcorn zu hören, die Gesichter der Menschen sind so blass wie das des Ghanaers. Jede Hilfe zu spät, und selbst wenn sie nicht zu spät
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