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Der Menschenspieler

Der Menschenspieler

Titel: Der Menschenspieler
Autoren: Will Lavender
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würde.
    »Bitte«, sagte Alex. »Ich brauche eine Antwort.«
    »Nur eine Frage.«
    Alex wartete. Sie erinnerte sich an die Gesichter der Männer von heute Morgen. Zwei Gesichter, das des Collegedekans und das eines Polizisten, gebrochen von dem, was sie in Michael Tanners chaotischer Privatbibliothek auf dem Campus gesehen hatten. Sie wusste es, sie trug dieselben Narben.
    »Raus damit«, sagte sie.
    Dr. Richard Aldiss lehnte sich vor. »Erzählst du mir noch einmal, wie du herausgefunden hast, dass ich unschuldig war?«
    3
    Vierundzwanzig Stunden zuvor betrat Alex Shipley ihren Hörsaal, und es wurde still im Raum. Wie immer wurde sie angestarrt. Es gab auf dem Campus viel elektronischen Tratsch über Shipley. Sie war groß, schlank, schön, aber sie war auch hochintelligent und verlangte ihren Studenten viel ab. Ihre Kurse gehörten zu den beliebtesten an der Universität, und es war nicht ungewöhnlich, zu einer Shipley-Vorlesung zu gehen und Studenten, wie eine Schlange bei einem Rockkonzert, an den Wänden stehen zu sehen. Dieses Seminar war ein besonders großer Erfolg: Es hieß Der Stift des Fälschers: Literarische Scherze im 20. Jahrhundert , und sie hatte sich damit einen Namen als junge Professorin in Harvard gemacht.
    Sie trug einen Bleistiftrock, weil das Wetter wärmer wurde, und eine dünne Strickjacke, die ihre Mutter ihr aus Vermont geschickt hatte. Sie trug nie eine Tasche, weil sie in ihrem Alter mit einer Tasche noch mehr wie eine Studentin aussah. Der Leiter der Fakultät der Vergleichenden Literaturwissenschaft, Dr. Thomas Headley, brauchte keine weiteren Gründe, um sie wie jemanden zu behandeln, der eigentlich am Kindertisch sitzen sollte.
    Sie hatte nur ein Bündel Transparentpapier bei sich und einen einzigen Text. Ein in Leder gebundenes Buch, die Fäden auf dem Rücken glitzerten im grellen Licht des Seminarraums. Das Buch war Paul Fallows’ Meisterwerk Die Windung .
    »Haben Sie heute Abend schon was vor, Dr. Shipley?«
    Alex schaute auf und sah den Studenten, der die Frage gestellt hatte. Anthony Neil III . Er saß in einer mittleren Reihe, das Grinsen eines Verbindungsstudenten auf dem Gesicht. Seine Freunde standen neben ihm und versteckten sich hinter ihren Norton-Anthologien.
    »Ich arbeite an meiner Camus-Übersetzung«, sagte sie tonlos. »Sprechen Sie Französisch, Mr Neil?«
    »Tu as un corps parfait« , sagte der Junge.
    »Komisch. Ich erinnere mich nicht daran, diese Zeile in Der Fremde gelesen zu haben.«
    »Versuchen Sie es mal mit der gekürzten Version.«
    Alex sah den Jungen direkt an und sagte: »Das muss dann wohl die Version des Textes sein, die Sie vor unserem letzten Test gelesen haben.«
    Dann drehte sie sich um und schrieb etwas auf die Weißwandtafel, während die Klasse johlte.
    »Was ist Literatur?«, fragte sie, als alle wieder ruhig waren. Diese Frage stellte sie immer, und zwar ganz sachlich, wenn sie dieses spezielle Seminar hielt.
    »Literatur ist Emotion«, sagte ein dunkelhaariges Mädchen aus einer hinteren Reihe.
    »Literatur ist das Geheimleben des Autors, festgehalten in Symbolen.«
    Alex nickte. »Große Bücher sind beides«, sagte sie. »Die Gefühle in Anna Karenina sind heftig. Über die Symbolik in Büchern wie Ulysses und Unterm Rad und Alice hinter den Spiegeln wird immer noch in literarischen Fakultäten auf der ganzen Welt gestritten.« Sie machte eine Kunstpause, fesselte sie. Vierzig Gesichter, alle gehörten Studenten aus der Oberschicht, die Englisch im Hauptfach studierten, auf dem Weg zu Größerem und Besserem, hingen an ihren Lippen. »Aber was, wenn Literatur noch mehr als das ist? Was, wenn sie ein Spiel wäre?«
    »Ein Spiel?«, fragte ein dünner Junge vorn. »Wie meinen Sie das?«
    »Ich meine«, sagte sie, »was, wenn Sie ein Buch lesen und es als Wettbewerb zwischen sich und dem Autor behandeln könnten? Wie einen Wettkampf.«
    »Bei jedem Wettkampf muss es einen Gewinner geben«, sagte ein anderer Student. »Wie gewinnt man gegen ein Buch?«
    »Guter Einwand«, sagte Alex. »Aber ein brillanter Professor hat mir mal gesagt, dass man gewinnt, wenn man weiß, dass man gewonnen hat .«
    »Richard Aldiss hat das gesagt?«
    Alex erstarrte. Nur der Name des Professors hatte diesen Effekt. Ihr Blut raste. Es war der Student von vorhin – Neil. Einer ihrer »Fans«. Sie spürten sie auf, ihre Vergangenheit zog sie an.
    »Paul Fallows«, fuhr Alex fort, indem sie den roten Faden ihrer Vorlesung wieder aufnahm. »Natürlich haben Sie
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