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Der Meister des Drakung-Fu

Titel: Der Meister des Drakung-Fu
Autoren: Franziska Gehm
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Bart hatte er aufgerollt und mit zwei Essstäbchen hochgesteckt. Er erinnerte an zwei Frühlingsrollen.
    Der junge Krieger Kerul gab den Hirsch aus der Umarmung frei und strich ihm noch einmal über den Rücken. Dann stand er auf, klatschte zweimal mit den Händen über dem Kopf und stieß dabei die Eckzähne aufeinander, wie es als ehrenvoller Gruß Brauch vor einem alten Meister war. »Ich habe den mächtigen Maral erlegt, großer Dschingbiss Zhan.« Kerul zeigte auf den Hirsch hinter sich.
    »Wie wahr. Wie gekonnt! Wie ein echter Krieger. Ich sah es mit eigenen Augen«, erwiderte Dschingbiss Zhan. »Doch was lässt dich jetzt zögern? Ein Vampgole beißt zu, wann und wo immer er kann.« Der Meister sah zum Hirsch. Speichel tropfte von einem seiner Eckzähne.
    Der junge Krieger drehte sich zum Hirsch um. Sein Blick schweifte über das weiche Fell, das prächtige Geweih mit dem dunkelblauen Turban und verweilte einen Moment bei den großen braunen, traurigen Augen. Kerul blinzelte, dann wandte er sich wieder an seinen Meister. »Kein Hunger.« Er zuckte mit den Schultern.
    Dschingbiss Zhan zog an seinem Ohrläppchen, als müsste er die beiden Wörter erst den Gehörgang herunterspülen. »Kein Hunger? Ein Vampgole hat immer Hunger. Durst sowieso.«
    Kerul kratzte sich am Hals. »Ich hab eine Hirschallergie.«
    Dschingbiss Zhan sah den jungen Krieger eindringlich an! Die Sekunden verstrichen. Kerul wagte es nicht, sich vom Fleck zu rühren. Der Hirsch allerdings schon. Er wusste nicht, was für ein großer Meister Dschingbiss Zhan war, und dass man sich nicht einfach ohne seine Erlaubnis aus dem Staub machen durfte. Er nutzte die Gelegenheit, sprang auf die Beine und stürmte ins nächste Gebüsch davon.
    Keiner der beiden Vampgolen beachtete ihn.
    »Wenn du noch einmal eine solch fette Mahlzeit entkommen lässt«, sagte Dschingbiss Zhan schließlich, »wird das schlimm für dich enden, Kerul Tschagatai Jugur Selenga. In der mongolischen Steppe ist der Tisch nicht so reich gedeckt, da kann man nicht wählerisch oder allergisch sein.«
    Kerul sah zu Boden.
    »Außerdem musst du Kräfte sammeln. Du brauchst jede Nahrung, die du nur kriegen kannst. Dir steht die schwierigste Prüfung deines jungen Lebens bevor.« Mit diesen Worten erhob sich der alte Meister in den Nachthimmel. »Möge die Modrigkeit mit dir sein!«, rief er Kerul zu, bevor er lautlos in Richtung Norden davonflog.
    Kerul sah seinem Meister lange nach. Im Norden lag ihre gemeinsame Heimatjurte. Auch für Kerul wurde es Zeit zurückzukehren. Zurück nach Ulan-Vampor.

Ein Portokulator
für die Liebe
    U ngefähr 6600 Kilometer weiter westlich warfen die letzten Strahlen der Abendsonne einen milchig-gelben Schleier über die Häuser am nördlichen Rand der Großstadt Bindburg. Die Reihenhaussiedlung wirkte vollkommen friedlich. Sogar das letzte Haus im Lindenweg, in dem seit Kurzem eine Familie aus Rumänien wohnte. Genau genommen aus Transsilvanien. Zur Familie gehörten Mihai Tepes (Vater und Vampir), Elvira Tepes (Mutter und Klobrillengestalterin), Silvania Tepes (Tochter und Halbvampir), Dakaria Tepes (sieben Minuten jüngere Tochter und Halbvampir), Karlheinz (Blutegel) und Fidel und Napoleon (Rennzecken).
    Mihai Tepes ließ Fidel und Napoleon gerade im Keller gegeneinander antreten. Frau Tepes hatte sich ausnahmsweise dazu bereit erklärt, beim Zeckenrennen der Wettgegner ihres Mannes zu sein. Herr Tepes vermisste die Rennzeckenwetten, die in seiner Heimat eine beliebte Freizeitbeschäftigung waren. Und so manches andere vermisste er auch. Aber wäre er in seiner Heimat, würde er seine Frau vermissen. Und das wäre viel schlimmer.
    Mihai Tepes setzte alles auf Napoleon.
    Elvira Tepes setzte alles auf Fidel.
    Daka Tepes setzte sich gerade in die Straßenbahn.
    Und Silvania Tepes saß bereits. Und zwar mit übereinandergeschlagenen Beinen auf ihrem Metallbett. Sie hatte ein dickes, altes Buch vor der Nase. Auf dem lila-roten Umschlag stand in Schnörkelschrift: Ratgeber für Leben, Liebe und Leidenschaften.
    »Und, steht da was?«, fragte Helene. Sie hing mit den Händen an einer Metallleine, die quer durch das Zimmer der Vampirschwestern gespannt war, und schaukelte vor und zurück. Die Metallleine quietschte leise. Die langen blonden Haare wehten bei jedem Schwung. Sie fielen Helene über die Ohren und verdeckten ihr Hörgerät. Und sie sahen wunderschön aus, wie goldener Weizen im Wind, fand Silvania.
    »Jetzt warte doch mal. Ich muss erst den
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