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Der Medicus von Saragossa

Titel: Der Medicus von Saragossa
Autoren: Noah Gordon
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abend noch lebendig gesehen, Padre Prior?« fragte Espina.
    »Ich habe ihn nicht gesehen«, sagte Padre Sebastian und er klärte ihm nun endlich, warum er ihn hatte rufen lassen. »Die Abtei hatte den Silberschmied Helkias beauftragt, ein Reliquiar aus getriebenem Silber und Gold anzufertigen. Es sollte ein außergewöhnliches Reliquiar in der Form eines Ziboriums sein, ein würdiges Behältnis für unsere geheiligte Reliquie. Darin sollte diese ruhen, bis wir einen angemessenen Schrein zu Santa Anas Ehren finanzieren und bauen können.
    Die Entwürfe des Handwerkers waren großartig und ließen darauf hoffen, daß sich die fertige Arbeit ihres Zweckes würdig erweisen werde.
    Der Junge sollte das Reliquiar gestern abend liefern. Als man seine Leiche entdeckte, lag neben ihr eine leere Ledertasche. Möglicherweise sind die Mörder des Jungen Juden, aber vielleicht sind sie auch Christen. Ihr habt als Arzt Zugang zu vielen Häusern und vielen Leben und seid Christ und zugleich Jude. Ich möchte, daß Ihr herausfindet, wer die Täter sind.«
    Bernardo Espina ärgerte sich insgeheim über die gefühllose Ignoranz dieses Geistlichen, der glaubte, ein Konvertit sei überall willkommen. »Ich bin vielleicht der letzte, den Ihr mit einer solchen Aufgabe betrauen solltet, Hochwürdiger Padre.« »Dennoch.«
    Der Priester sah ihn unverwandt und mit der unversöhnlichen Bitterkeit eines Menschen an, der allem Irdischen entsagt hat und jegliche Hoffnung auf das Jenseits setzt. »Ihr werdet diese Diebe und Mörder finden, mein Sohn. Ihr müßt unseren Teufeln zeigen, daß wir gegen sie gewappnet sind. Gottes Werk muß getan werden.«

2. Das Geschenk Gottes
    P adre Sebastian wußte, daß Fray Julio Perez ein Mann unanfechtbaren Glaubens war, jemand, den man zweifellos zum Leiter der Abtei zur Himmelfahrt Mariä ernennen würde, sollte der Tod oder das Schicksal ihn, den Prior, zwingen, sie zu verlassen. Doch der Mesner der Kapelle besaß den Makel einer Unschuld, die zu vertrauensselig war. Padre Sebastian fand es beunruhigend, daß von den sechs Bewaffneten, allesamt hartäugige Männer, die Fray Julio angestellt hatte, um das Kloster zu bewachen, nur drei ihm selbst oder Fray Julio persönlich bekannt waren.
    Der Priester war sich schmerzlich bewußt, daß die Zukunft der Abtei, von seiner eigenen ganz zu schweigen, in dem kleinen Holzkästchen lag, das er in der Kapelle versteckt hielt. Der Besitz dieser Reliquie erfüllte ihn mit Dankbarkeit und immer wieder mit Erstaunen, aber sie verstärkte auch seine Angst, denn daß er sie in seiner Obhut hatte, war ebenso eine große Ehre wie eine schreckliche Verantwortung.
    Als Junge von kaum zwölf Jahren in Valencia hatte Sebastian Alvarez in der polierten Oberfläche eines schwarzen Keramikkrugs etwas gesehen. Die Vision – denn als solche erkannte er sie, und er sollte für den Rest seines Lebens an dieser Überzeugung festhalten – kam ihm, als er mitten in der Nacht, vor der er sich immer fürchtete, plötzlich in der Schlafkammer aufwachte, die er mit seinen Brüdern Augustin und Juan Antonio teilte. Er starrte die schwarze Keramik im mondhellen Zimmer an und sah darin Unseren Herrn Jesus am Kreuz. Sowohl die Gestalt des Herrn als auch das Kreuz waren verschwommen und undeutlich. Alsbald sank er wieder in einen warmen und angenehmen Schlaf, und als er am Morgen aufwachte, war das Bild verschwunden, doch die Erinnerung daran hatte sich seinem Bewußtsein klar und deutlich eingeprägt.
    Er verriet niemandem, daß Gott ihm eine Vision geschickt hatte. Seine älteren Brüder hätten ihn ausgelacht und ihn belehrt, er habe wohl nur das Abbild des Vollmonds in dem Krug gesehen. Sein Vater, ein Baron, der glaubte, seine Abstammung und sein Landbesitz gäben ihm das Recht, ein hirnloser Rohling zu sein, hätte ihn geschlagen, weil er sich zum Narren mache, und seine Mutter, eine gedemütigte Frau, die in Angst vor ihrem Gatten lebte, sprach sowieso kaum mit ihren Kindern.
    Aber von dieser Nacht der Vision an wußte Sebastian, welche Rolle ihm im Leben beschieden war, und er hatte eine Frömmigkeit an den Tag gelegt, die es seiner Familie einfach machte, ihn in den Dienst der Kirche abzuschieben.
    Nach der Priesterweihe hatte er sich zunächst damit zufriedengegeben, in verschiedenen untergeordneten Stellungen zu dienen. Erst im sechsten Jahr nach der Weihe kam ihm schließlich die wachsende Berühmtheit seines Bruders Juan Antonio zugute. Ihr Bruder Augustin hatte Titel und
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