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Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief

Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief

Titel: Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief
Autoren: Javier Tomeo
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unsere kleinen Tierchen in der Tasche, wenn Don Demetrio Sie in Gesellschaft seiner Gefährtin empfängt. Lassen Sie sie nicht frei, auch wenn er die Fäuste ballt und meine Handschrift verflucht oder die Amphibien, ihres Gefängnisses überdrüssig, Sie in den Allerwertesten zu beißen beginnen. Ich gebe Ihnen diesen Rat, weil traditionelle Wut immer besser zu ertragen ist als metaphysischer Zorn, von dem sogar Ihr Seelenheil abhängen kann. Wenn also der Herr Graf, durch den Anblick der Frösche nicht gestärkt, beschließt, sein Mütchen an Ihrem armen Körper zu kühlen, rühren Sie keinen Finger, um sich zu schützen. Empfangen Sie die Schläge mit Demut, ohne Klage. Dieser Trottel soll wissen – denn letzten Endes ist der Herr Graf nichts als ein Trottel –, wie weit die Standhaftigkeit meiner Dienstboten geht. Mehr noch: Sie sollten auf die Peitschen-oder Fausthiebe mit einem leichten Lächeln antworten, einem kaum angedeuteten Lächeln. Ich meine natürlich nicht jenes hochmütige, zwanghafte Grinsen, mit dem manche Todeskandidaten beim Besteigen des Schafotts ihren Henker beleidigen. Ebensowenig denke ich an die unzüchtig verzerrten Gesichter derer, für die der Schmerz höchster Ausdruck der Lust ist. Ihr Lächeln muß vielmehr Geistigkeit ausstrahlen. Es muß sich gewissermaßen zwischen Heiterkeit und seligem Vertrauen bewegen. Lassen Sie beim Knallen der Peitsche auf Ihrem Gesicht den Ausdruck derer glänzen, die ihre ganze Hoffnung auf Gerechtigkeit in die andere Welt setzen. Da ist noch etwas, und verzeihen Sie mir, wenn ich mich über diesen Punkt so verbreite: ideal wäre es, wenn Sie, falls der Moment der Prügel kommt, vor dem Herrn Grafen auf die Knie fielen und ihm leutselig den Rücken darböten. Denken Sie daran, daß letztlich mein persönliches Ansehen auf dem Spiel steht. Sie müssen mich also mit der allergrößten Würde vertreten. Ich weiß ja, daß es traurig ist, immer für einen anderen den Diener zu spielen, doch so sind die Dinge nun einmal. Diener haben treu, ungestalt und grausam zu sein, wie man sagt. Ungestalt und grausam – zu Ihren Untergebenen und Gleichgestellten – sind Sie ja schon, seien Sie mir also auch treu in dem, worum ich Sie jetzt bitte. Aber was ist, Bautista? Sie zittern? Fürchten Sie sich? Wollen Sie zulassen, daß die Gefahr, einige Peitschenhiebe zu erhalten – eine letztendlich recht unwahrscheinliche Möglichkeit – Sie des Vergnügens beraubt, zu wissen, daß Sie mir einen unschätzbaren Dienst erweisen? Oh nein, mein armer Freund! Ängstigen Sie sich nicht vorzeitig! Vor der Zeit leiden heißt doppelt leiden! Die Peitschenhiebe sind ja nicht sicher. Es könnte ebensogut geschehen, daß der Herr Graf weniger heftig reagiert. Wer weiß? Vielleicht hebt er sich die Peitsche für eine andere Gelegenheit auf und versucht nur, Ihnen den Inhalt des Briefes zu entlocken. Womöglich denkt er, daß ich so naiv und unvorsichtig bin, meine Geheimnisse und intime Korrespondenz der Dienerschaft anzuvertrauen. Wenn er Ihnen also irgendeine Frage in diesem Sinne stellt, müssen Sie von Anfang an sehr deutlich zu erkennen geben, daß Ihre Unkenntnis total ist. Leugnen Sie so oft wie nötig, und verharren Sie in dieser Haltung, bis er begreift, daß Sie tatsächlich rein gar nichts wissen. Schwören Sie es, wenn nötig, bei der Gesundheit Ihrer Kinder. Verdrehen Sie die Augen. Fallen Sie auf die Knie, und heben Sie die Arme zum Kreuz. Machen Sie, was Sie wollen, aber bringen Sie Don Demetrio dazu, Ihre Unkenntnis zu akzeptieren. Beeilen Sie sich sodann aber nicht, hurra zu schreien, denn es können noch andere Gefahren auftauchen. Es könnte zum Beispiel geschehen, daß der Herr Graf, verzweifelt darüber, daß er Ihnen nichts aus der Nase ziehen konnte, Sie zwingt, den Brief aufzuessen. Sollte dieser kritische Augenblick eintreten, dürfen Sie ebenfalls keinen Widerstand leisten. Halten Sie sich vor Augen, daß der Brief auf Reispapier geschrieben ist und daß von allen Eventualitäten diese spezielle noch die verdaulichste ist. Verlieren Sie also nicht den Anstand. Trösten Sie sich mit dem Gedanken an das Silberfischchen, jenes winzigkleine papierfressende Insekt mit zylindrischem Körper und silbernen Schuppen. Schließlich und endlich sind Sie wenig mehr als ein Insekt, Bautista, ich sage Ihnen das nicht in der Absicht, Sie zu kränken. Beweisen Sie also Stärke – nicht, indem Sie sich gegen Ihr Schicksal auflehnen, sondern indem Sie sich in Ihre Lage schicken
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