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Der Mann schlaeft

Der Mann schlaeft

Titel: Der Mann schlaeft
Autoren: Sibylle Berg
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mich am Strand auf eine Bank, es ist immer dieselbe, und ich schaue aufs Meer, auch nicht ausgetauscht über Nacht, und immer sind da Paare, die Drachen steigen lassen, stellvertretend für sie fliegt der Drachen auf, an einen Ort ohne Raumprobleme, und immer sind da Kinder, die leise meditierend geradeaus schauen. Ein seltsamer Ort, wie ein lebendig gewordenes Bild aus einer Broschüre der Zeugen Jehovas. Fast erwartet man, dass Geißen kommen und sich an die Menschen schmiegen und Quellen hervorbrechen, aus denen Blumen strömen.
    Nach vier Stunden gehe ich zurück. Zurück nach Hause, denke ich aus Versehen und weiß zum einen nicht, wo das ist, zum anderen wird mir sofort kalt, Schweiß auf der Stirn, das Herz schlägt viel zu schnell. Abreisen, das wäre eine gezielte Aktion, das hieße Ticket buchen, ein Flugzeug besteigen, zurück in mein Leben und akzeptieren, dass ich wieder alleine bin.

Damals.
Vor vier Jahren.
    Vielleicht, dachte ich mir, als ich zu meiner Wohnung zurückkehrte, vielleicht sollte ich öfter Abende mit Menschen verbringen, die ich nicht besonders mochte, damit ich zu schätzen lernte, was mein Leben ausmachte. Ich hatte mich lange nicht mehr so nachdrücklich auf die Frische meines Bettes und die Ruhe um mich gefreut wie an jenem Abend, nach zähen, in Verstellung verbrachten Stunden. Kurz bevor ich meine Tür und damit die Sicherheit erreichte, fiel mein Wohlgefühl in Sekundenbruchteilen in sich zusammen: Alles, was mich an Menschen befremdete, saß da vor meiner Tür.
    Die seltsame Bekannte begleitete mich schon seit Jahren durch mein Leben, wie ein muschelbeklebter Aschenbecher, den man bei jedem Umzug in einen Karton legt mit dem Vorsatz, ihn endlich wegzuwerfen.
    Ich erinnerte mich weder, wo ich sie kennengelernt hatte, noch warum es mir nie gelungen war, sie loszuwerden.
    Die seltsame Bekannte war durch ihre Verzweiflung allen anderen gegenüber dumpf geworden und torkelte wie ein trister kleiner Planet in ihrem eigenen Sonnensystem. Trotz all der interessanten Ausflüchte, die ich gesucht hatte, gelang es ihr, mich mit abstoßender Hartnäckigkeit zur Kapitulation zu zwingen und einen Besuch pro Monat durchzusetzen. Dass ich ihr die Wahrheit nicht zu sagen vermochte, die hieße, dass unsere Beziehung nicht existierte, lag vermutlich an der gleichen Hemmung, die geistig Gesunde daran hindert, auf amBoden Liegende einzutreten. Die seltsame Bekannte war nie ein attraktiver Mensch gewesen und dann in grausamer Weise gealtert. Ohne mich in übertriebener Art liebevoll betrachten zu wollen, meinte ich, dass die Bekannte gut zwanzig Jahre älter aussah als ich, was natürlich völlig egal war, denn den meisten hilft auch die Jugend in keiner Hinsicht weiter.
    Allein war sie immer gewesen, und wie fast alle, die immer allein bleiben, hatte sie sich fast ausschließlich mit Projektionen aufgehalten, war davon ausgegangen, dass jeder Mann, der sie in Aufregung versetzte, das Gleiche für sie empfinden müsste, hatte wegen der mangelnden Zivilcourage der Männer die meiste Zeit ihres Lebens auf Nachrichten gewartet, die nie eintrafen, war bitter geworden über dem Warten und fühlte sich betrogen. Von den Männern, der Regierung, der Gesellschaft. Wie hilfreich es für viele wäre, sich nur kurz von außen betrachten zu können. Der seltsamen  Bekannten wäre dann klargeworden, dass es für niemanden einen Grund geben konnte, sein Leben mit ihr zu teilen. Die Chance, dass sich einer fand, der sie für den Sonnenschein seiner Existenz hielt, war sehr gering. Sie hätte die optische Last, die die Natur ihr auferlegt hatte, durch viel Charme und Güte zwar nicht wettmachen, so doch etwas mildern können. Sich in Boshaftigkeit zu flüchten war unzweifelhaft die falsche Entscheidung gewesen. Ich kam nie wirklich dahinter, was sie von mir wollte, denn ich mochte sie nicht, und alle unsere Treffen basierten seit Anbeginn ausschließlich auf meiner Resignation. Früher hatte ich die Vermutung, dass sie mich mit an Verliebtheit grenzender Bewunderung betrachtete. Sie hatte immer wieder versucht, mein Äußeres zu kopieren, meine Gesten, meine Art zu sprechen.
    Ich hatte das lange nicht bemerkt, man kommt, wenn man nicht von übertriebener Eigenliebe beherrscht wird, nicht auf die Idee, dass ein anderer Mensch so sein will, wie man selbst ist. Irgendwann war es mir aufgefallen, als sie vor mir saß und genauso wirkte wie ich, nachdem ich lange Zeit zum Gären in einer Schüssel gelegen hätte.
    Die
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