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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß
Autoren: John O'Farrell
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ließen. Am nächsten Tag stieß ich im Mittelteil des Blattes auf einen doppelseitigen Artikel mit der Überschrift »Wer ist der geheimnisvolle Unbekannte?«. Darunter prangte das Foto eines adretten jungen Mannes, mit dem Pippa Middleton bei einem Wohltätigkeits-Polomatch erschienen war. Ich blätterte die Zeitung zwei Mal von vorn bis hinten durch, doch über mich stand nichts darin. Wie sich herausstellte, hatten sie meine Geschichte eigentlich bringen wollen, aber dann war ihnen die Exklusivmeldung über den mysteriösen Begleiter von Prinz Williams Schwägerin dazwischengeraten, und der Chefredakteur hatte beschlossen, dass sie in ein und derselben Ausgabe unmöglich zwei Geschichten über »geheimnisvolle Unbekannte« abdrucken konnten. Der Journalist, der unseren Anruf entgegengenommen hatte, war inzwischen in Urlaub, und so war die potenzielle Story an eine andere Reporterin gegangen. »Sagen Sie«, fragte sie mich, »Sie sind nicht zufällig Klaviervirtuose?«
    Wenn ich nachts nicht schlafen konnte, schlich ich mich des Öfteren in den dunklen, leeren Aufenthaltsraum, von wo aus man einen herrlichen Blick auf die hypnotische Londoner Skyline hatte. Als ich in der vierten Nacht dort stand und auf die Millionen winziger Lichter der Stadt hinabsah, traf mich schlagartig die Erkenntnis, dass dies jetzt mein Leben war und es sich bei diesem Syndrom nicht nur um einen vorübergehenden Blackout handelte. Dann schickten sie einen Pfleger, um nachzusehen, woher das laute Wummern in der zehnten Etage kam. Er ertappte mich dabei, wie ich immer wieder mit dem Kopf gegen das Fenster schlug. »He, lassen Sie das!«, rief er. »Sie machen noch die Scheibe kaputt!«
    Manchmal setzte ich mich eine Weile ins Fernsehzimmer, um mir die Zeit zu vertreiben. Bei einem dieser Abstecher stellte ich fest, dass man Mr & Mrs wieder ins Programm genommen hatte, diesmal mit Promis und ihren attraktiven LebensabschnittsgefährtInnen. Die Sendung wurde für mich zu einer Art Obsession. Mir ging das Herz auf, wenn ich sah, wie viel die Paare voneinander wussten, und ich lachte über jeden ehelichen Faux-pas und schwelgte förmlich in der zwanglosen Vertrautheit dieser Leute.
    »Ah, hab ich dich gefunden!«, rief Bernard mit seinem unverkennbaren nasalen Fistelstimmchen, als die zweite Hälfte der Sendung begann. »Sieh mal, ich habe dir aus dem Kiosk in der Lobby ein paar Bücher mitgebracht: Wie Sie Ihr Gedächtnis in nur 15 Minuten täglich auf Trab bringen. Darauf hätten wir eigentlich auch früher kommen können!«
    »Das ist sehr nett von dir, Bernard, aber darin geht es vermutlich eher um allgemeine Vergesslichkeit als um Amnesie.«
    »Ist das nicht letztlich alles mehr oder weniger dasselbe?«
    »Äh, nein.«
    »Glaub mir, ich weiß, was du durchmachst. Ich vergesse ständig, wo ich meinen Schlüssel hingelegt habe.«
    »Das ist nicht mein Problem. Ich weiß genau, was ich getan habe, seit ich hier bin. Aber ich weiß rein gar nichts mehr über mein Leben davor.«
    »Ja, ja, verstehe. Dann ist eine Viertelstunde täglich vielleicht doch zu wenig«, befand er und schlug das Buch irgendwo auf. » Wenn Sie jemandem vorgestellt werden, versuchen Sie, seinen Namen laut auszusprechen, um ihn sich einzuprägen. Statt ›Hallo!‹ sagen Sie also beispielsweise ›Hallo, Simon!‹. Das ist für den Anfang doch schon mal nicht schlecht.«
    »Ja, aber ich glaube kaum, dass mir das die ersten vierzig Jahre meines Lebens zurückbringt …«
    »Mit der Schere geht es mir genau so. Ich vergesse jedes Mal, wo ich sie gelassen habe. Manchmal habe ich das Gefühl, sie versteckt sich regelrecht vor mir. Oooh, das ist gut: Wenn Sie sich keine Telefonnummern merken können, behelfen Sie sich mit einer Eselsbrücke. Lautet die Nummer eines Freundes beispielsweise 2012 1066, denken Sie einfach an die Olympischen Spiele in London und die Schlacht von Hastings. «
    »Na prima. Sollte mir diese Nummer jemals unterkommen, werde ich sie mir mit diesem Trick merken.«
    »Siehst du«, sagte Bernard sichtlich zufrieden, weil er mir eine so große Hilfe gewesen war. »Und es ist nur ein Viertelstündchen täglich. Oooh, All-Star Mr & Mrs! Bei der Sendung würde ich auch gern mal mitmachen. Gesetzt den Fall, ich wäre berühmt … und hätte eine Frau.«
    Als meine Lieblingssendung zu Ende war und ich verkündete, ich wolle jetzt ins Bett, sprang Bernard auf, um mir »Gesellschaft zu leisten«, und zeigte mir mit triumphierender Miene das andere Buch, das er im
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