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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß
Autoren: John O'Farrell
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Triaden!«
    Ich zog es vor zu schweigen, in der Hoffnung, seine Fantasie wäre irgendwann erschöpft.
    »Zuhälter … Pyromane …«
    Irgendwo hatte ich einen Kopfhörer. Ich suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, die Ohren vor der Liste verabscheuungswürdiger Verbrechen zu verschließen, die möglicherweise zu meinem Zusammenbruch geführt hatten.
    »Päderast … Vivisektor … Banker …«
    Obwohl ich Bernards Spekulationen als lächerlich abtat, wurde mir doch etwas mulmig zumute, als man mir noch am selben Nachmittag mitteilte, dass im Dienstzimmer der Stationsschwester zwei Polizisten auf mich warteten. Zu meiner Erleichterung hatten sie jedoch nicht die Absicht, mich wegen Kriegsverbrechen gegen das bosnische Volk zu verhaften, wie Bernard vermutet hatte. Stattdessen hatten sie einen dicken Vermisstenordner bei sich, den sie nun Seite für Seite durchgingen, wobei sie erst das jeweilige Foto und dann mich eingehend betrachteten.
    »Also, das bin ja wohl nicht ich«, warf ich ungeduldig ein, weil ich dringend wissen wollte, ob ich vielleicht weiter hinten auftauchte.
    »Wir müssen jede Akte sorgfältig prüfen, Sir.«
    »Ja, aber ich bin weder fett. Noch schwarz. Noch eine Frau.«
    Sie musterten mich argwöhnisch, um sich zu vergewissern, dass ich nicht doch eine Schwarzafrikanerin war, die sich äußerst geschickt zu tarnen wusste, bevor sie widerwillig weiterblätterten.
    »Hmmm, was meinen Sie?«, fragte der Beamte. Sein Blick wanderte zwischen mir und dem Bild eines runzligen alten Rentners hin und her.
    »Aber der ist doch mindestens achtzig«, wandte ich ein.
    »Viele dieser Leute sehen älter aus, als sie tatsächlich sind, Sir – sie standen womöglich unter Drogeneinfluss oder waren obdachlos. Wie lange tragen Sie diesen Bart schon?«
    »Äh, also … soweit ich mich erinnern kann …«
    »Grob geschätzt. Einen Monat, ein Jahr, zehn Jahre?«
    »Ich weiß es nicht! Wie die Schwester schon sagte, leide ich an Amnesie, sprich ich habe keinerlei Erinnerung an alles, was bis letzten Dienstag geschehen ist.«
    Sie sahen sich an, schüttelten verständnislos den Kopf und suchten dann weiter nach Ähnlichkeiten zwischen mir und den Fotos eines halbwüchsigen Mädchens, eines Sikhs und eines Jack-Russell-Terriers, bei dem es sich jedoch, wie sie zähneknirschend zugeben mussten, um einen Irrläufer handelte.
    Die Tatsache, dass mich niemand als vermisst gemeldet hatte, sprach für sich. Es gab weder Suchmeldungen in den Nachrichten noch tränenreiche Appelle der liebenden Familie noch gar ganzseitige Zeitungsinserate mit einem Foto des schmerzlich vermissten Gatten, Vaters oder Kollegen. War ich vor meiner Fugue tatsächlich so einsam gewesen? War das die traumatische Situation, die meine Psyche dazu veranlasst hatte, reinen Tisch zu machen, damit ich noch einmal bei null anfangen konnte?
    Wie auch immer meine Vergangenheit ausgesehen hatte, ich wollte nur noch gerettet werden von dieser unbewohnten Insel inmitten einer Acht-Millionen-Stadt. Ich wollte am Strand ein riesiges Feuer entzünden, eine Flaschenpost verschicken, für vorbeifliegende Flugzeuge in Riesenlettern » Hilfe « in den Sand meißeln.
    »Könnten wir nicht eine Zeitungsanzeige aufgeben?«, schlug ich der Stationsschwester immer wieder vor. »Zum Beispiel ein Foto von mir mit der Frage ›Kennen Sie diesen Mann?‹.« Obwohl es ihr an Zeit und dem nötigen Verständnis mangelte, willigte sie schließlich ein, dass die Idee vielleicht gar nicht so schlecht sei, und ich saß in ihrem winzigen Dienstzimmer, während sie nervös in der Lokalredaktion des London Evening Standard anrief. Sie schilderte meine Situation, aber ich hörte nur ihre Hälfte des Gespräches, da sie die Sprechmuschel zuhielt und die Fragen des Journalisten an mich weitergab.
    »Er will wissen, ob Sie vielleicht Klaviervirtuose sind.«
    »Also – keine Ahnung … nicht dass ich wüsste. Vielleicht lassen Sie mich mal mit ihm sprechen?«
    »Er weiß es nicht.« Wieder Schweigen. »Sind Sie vielleicht ein Sprach- oder Mathematikgenie?«
    »Das glaube ich kaum. Jedenfalls bin ich an den schwierigen Rätseln in Bernards Sudoku-Buch kläglich gescheitert … Soll ich mal mit ihm sprechen?«
    »Äh, er kann nur leichte Sudoku-Rätsel lösen. Reicht das?«
    Anscheinend hatte die Redaktion nicht genügend Personal, um jemanden vorbeizuschicken, erklärte sich jedoch bereit, die Story zu bringen, wenn wir ihr ein aktuelles Foto mit den erforderlichen Angaben zukommen
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