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Der Maler und die Lady (German Edition)

Der Maler und die Lady (German Edition)

Titel: Der Maler und die Lady (German Edition)
Autoren: Nora Roberts
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die Hand und war im Begriff, die schwarze Schmiere in ihrem Gesicht wegzuwischen, hielt jedoch erschrocken inne.
    „Ich bringe es nicht fertig!“, rief jemand. „Ich sage dir, es ist unmöglich.“ Anatole sah einen Mann in beängstigender Geschwindigkeit die lange, gewundene Treppe herunterpoltern. Sein Gesicht war eine einzige Anklage und seine Stimme ein unheilvolles Krächzen. „Es ist alles deine Schuld!“ Atemlos blieb er stehen und wies mit einem langen, dünnen Finger auf das kleine Hausmädchen.“ Sei dir darüber im Klaren, du hast das zu verantworten.“
    Anatole sah sich einem kleinen Mann von koboldhafter Gestalt mit dem Gesicht eines Cherubs gegenüber. Das schüttere helle Haar stand ihm fast kerzengerade vom Kopf ab. Tänzelnd trat er auf dem Treppenabsatz von einem dünnen Bein aufs andere und zeigte immer noch drohend mit dem langen Finger auf die dunkelhaarige Frau, die der Aufruhr vollkommen kalt ließ.
    „Ihr Blutdruck steigt mit jeder Sekunde, Mr. Fairchild. Holen Sie ein paar Mal tief Luft, sonst bekommen Sie am Ende noch einen Anfall.“
    „Anfall!“ Beleidigt hüpfte er noch nervöser hin und her. Vor Anstrengung verfärbte sich sein Gesicht hochrot. „Ich bekomme keine Anfälle, Mädchen. Im ganzen Leben hatte ich noch keinen.“
    „Es gibt immer ein erstes Mal.“ Die junge Frau hielt die Hände locker gefaltet und fügte mit einem Kopfnicken hinzu: „Mr. Anatole Haines möchte Sie sprechen.“
    „Haines? Was zum Teufel hat der denn damit zu tun? Ich sage dir, es ist das Ende, der Höhepunkt!“ Theatralisch legte er eine Hand aufs Herz. Seine wasserblauen Augen wurden mit einem Mal feucht, und Anatole fürchtete, Mr. Fairchild würde zu weinen beginnen. „Sagtest du Haines?“, fragte er noch einmal. Unvermittelt wandte er sich mit einem strahlenden Lächeln an Anatole. „Wir sind verabredet, nicht wahr?“
    Zögernd streckte Anatole die Hand aus. „Ja.“
    „Guten Tag. Freut mich, dass Sie gekommen sind. Ich habe Sie erwartet.“Immer noch lächelnd schüttelte er einen Moment enthusiastisch Anatoles Hand. „Gehen wir in den Salon.“ Er ergriff Anatole beim Arm. „Kommen Sie, trinken wir einen.“ Sein leichtfüßiger, elastischer Gang erinnerte an einen Mann, den nichts in der Welt erschüttern konnte.
    Im Salon nahm Anatole die Antiquitäten und alten Zeitschriften nur flüchtig wahr. Fairchild bat ihn, auf einem roßhaargepolsterten Sofa Platz zu nehmen, das sich als erstaunlich unbequem erwies. Das Hausmädchen ging zu dem gewaltigen, aus Natursteinen erbauten Kamin, kehrte die Asche zusammen und pfiff dabei munter vor sich hin.
    „Ich trinke einen Scotch,“ erklärte Fairchild und griff nach der Whiskykaraffe.
    „Ich schließe mich an.“
    „Anatole Haines, ich bewundere Ihre Arbeiten.“ Fairchilds Hand war vollkommen ruhig, als er ihm das Glas reichte. Er wirkte entspannt, und seine Stimme klang gleichmütig. Anatole fragte sich, ob er sich die Szene auf der Treppe nur eingebildet habe.
    „Vielen Dank.“ Anatole nippte am Whisky und betrachtete aufmerksam das vor ihm sitzende gnomenhafte Genie.
    Von Augen und Mund ausgehend, verteilte sich ein Gewirr feiner Linien über Fairchilds Gesicht. Wären sie und das schüttere Haar nicht gewesen, hätte man ihn für einen jungen Mann halten können. Seine Jugendlichkeit schien einer inneren Vitalität, ja geradezu fieberhaften Betriebsamkeit zu entspringen. Die Augen waren von einem klaren, unverfälschten Blau. Anatole wusste, dass diese Augen weit mehr sahen als andere.
    Zweifellos war Philip Fairchild einer der größten lebenden Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts. Sein Stil reichte von extravagant bis elegant und bot etwas von allem, was zwischen diesen beiden Extremen lag. Seit über dreißig Jahren erfreute er sich nicht nur in Künstlerkreisen, sondern auch beim breiten Publikum ungebrochenen Ansehens und Respekts und hatte es dabei zu erstaunlichem Reichtum gebracht, etwas, das nur wenigen Menschen seines Berufsstandes zu Lebzeiten vergönnt war.
    Und diese Stellung genoss er ausgiebig. Er war mit einem Temperament gesegnet, das von aufgeblasen über jähzornig bis zu großzügigreichte. Von Zeit zu Zeit lud er Künstler in sein Haus am Hudson ein und bot ihnen an, Wochen, ja Monate bei ihm zu arbeiten, zu studieren oder einfach nur auszuspannen. Dann wieder gab es Zeiten, da gestattete er niemandem, auch nur einen Fuß über die Schwelle zu setzen, und vergrub sich in totaler Abgeschiedenheit.
    „Ich
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