Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Maedchenmaler

Der Maedchenmaler

Titel: Der Maedchenmaler
Autoren: Monika Feth
Vom Netzwerk:
hinzufallen.
    Wahrscheinlich hatte ich niedrigen Blutdruck. Vielleicht kamen meine Beschwerden aber auch nur daher, dass ich unglücklich war. Ich hatte eine Liebe gefunden und verloren und fühlte mich so abgrundtief allein wie niemals zuvor.
    Nein. Nein! Ich wollte nicht daran denken. Ich durfte es auch nicht. Wochenlang war ich krank gewesen und hatte mich nur mühsam, Schritt für Schritt, wieder erholt. Ich durfte nicht zurückfallen, nicht wieder zu diesem willenlosen Etwas werden, das nur dank der maߟlosen Geduld und Zuwendung von Familie und Freunden überlebt hatte.
    Meine Mutter und Merle waren für mich da gewesen. Sie hatten mich abgeschirmt und beschützt. Auch meine Groߟmutter hatte mir sehr geholfen. Sie hatte mir Bücher und CDs mitgebracht, mir vorgelesen und mit mir zusammen Musik gehört. Und manchmal hatte sie einfach nur bei mir gesessen und mit mir geschwiegen.
    Tilo, der Freund meiner Mutter, war mir vertrauter geworden in dieser Zeit.
    »Weil du dich irgendwie verändert hast«, hatte ich zu ihm gesagt.
    Er hatte den Kopf geschüttelt und mich angelächelt mit diesem ganz speziellen Tilo-Lächeln, die Augen ein bisschen zusammengekniffen, die Lippen beinah spöttisch verzogen. Das typische Psychologenlächeln, wie meine Mutter es nannte.
    »Nein«, hatte er gesagt. »Du bist diejenige, die sich verändert hat.«
    Wahrscheinlich waren wir alle anders geworden. Durch die schrecklichen Erfahrungen, die wir gemacht hatten, jeder für sich.
    Meine Freundin Caro war ermordet worden und ich hatte mich in ihren Mörder verliebt. Merle mit ihrer Hartnäckigkeit hatte mir das Leben gerettet.
    Es hatte in sämtlichen Zeitungen gestanden. Jeder hatte sich das Maul darüber zerrissen. Es war nicht mehr Caros, Merles und meine Geschichte gewesen. Plötzlich hatte sie jedem gehört. Sogar auf der Straߟe hatten die Leute darüber gesprochen. Sie taten es immer noch.
    Aufhören! Nicht weiterdenken.
    Manche Tage überlebte ich nur dadurch, dass ich jede Erinnerung an damals verdrängte. Dadurch, dass ich meinen Kopf leer machte und keinen Gedanken zulieߟ, der mich beunruhigen konnte.
    Ich sollte nicht alles so schwer nehmen. Es gab einfach diese Tage, an denen alles schief ging, an denen schon der Morgen falsch begann. Das hier war so ein Tag.
    Drauߟen schlug mir die Kälte ins Gesicht. Ich beschloss, den Wagen zu nehmen. Obwohl er aussah wie aus der Gefriertruhe gezogen. Das bedeutete mindestens fünf Minuten Kratzen und war nicht gerade dazu angetan, mein Wohlbefinden zu steigern.
    Die Pulswärmer, die meine Groߟmutter mir zu Weihnachten geschenkt hatte, waren schon nass, und die Windschutzscheibe war immer noch zur Hälfte vereist. Ich merkte, dass ich kaum Kraft in den Fingern hatte, und wäre am liebsten umgekehrt.
    Weichei, sagte die lästige, vorwurfsvolle Stimme in mir, die sich immer dann meldete, wenn mir nach Jammern zumute war. Hast du dich nicht lang genug im Bett verkrochen?
    Wochenlang, ja. Ganz allmählich erst steckte ich die Nase wieder in die Luft.
    Vielleicht war meine Schwäche aber auch gar kein Zeichen für einen Rückfall. Vielleicht brütete ich bloߟ eine Erkältung aus und war deshalb so wacklig auf den Beinen. Oder das Frühstück fehlte mir. Ich bin nicht der Typ, der auf nüchternen Magen eine Tasse Kaffee runterschüttet, aus dem Haus stürmt und fit ist für den Alltag mit seinen Tücken. Ich brauche mein finnisches Knäckebrot, meinen Käse und meinen Tee, um den Menschen und mir gewachsen zu sein. Vor allem mir.
    Im Auto war es genauso kalt wie drauߟen, jedenfalls kam es mir so vor. Weiߟ strömte der Atem aus meinem Mund. Das Lenkrad fühlte sich an, als wäre es aus Eis.
    »Bitte! Spring an!«, flehte ich und versuchte, den Motor zu starten. Beim fünften Mal gelang es mir. Ich schnallte mich an und fuhr los.
    Ich machte das Radio an und drehte die Heizung auf die höchste Stufe. Meine Schultern waren so verkrampft, dass ich kaum schalten konnte. Ein stechender Schmerz kroch mir in den Nacken und von da aus in den Kopf.
    Es dämmerte. Die kahlen Bäume standen schwarz vor dem unmerklich hell werdenden Himmel. Ihre Ąste und Zweige waren wie Scherenschnitte, die man gegen das Licht hält. Schön. Wunderschön.
    Wie schnell war man tot, wenn man mit hundert gegen einen Baum prallte? Spürte man noch Schmerzen oder war es sofort aus? Würde es auch für mich eine Lichtgestalt geben, die mich abholte?
    Caro.
    Ich durfte nicht so denken. Ich musste mich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher