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Der Lockvogel

Der Lockvogel

Titel: Der Lockvogel
Autoren: Chris Morgan Jones
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finde ich langweilig.«
    Wie recht sie hatte. Was Lock an Oksana liebte – lieben würde, wenn er es zuließe –, war ihre klare Vorstellung davon,
was sie von ihm und seinem Geld wollte. Und dazu gehörte nicht, mit ein paar Hundert lederhäutigen Männern und ihren schönen Freundinnen in einem Nachtclub zu tanzen, der seinen Namen auf absurde – und peinliche – Weise mit einem Z schrieb. Jimmy’z. Vor ein paar Jahren hätte sich Lock vielleicht auf eine Nacht im Jimmy’z gefreut und auf die Gelegenheit, zu sehen und gesehen zu werden, doch jetzt nicht mehr. Der Laden war voll von Mittsechzigern und sogar Mittsiebzigern, die sich offensichtlich niemals die Zeit nahmen, Zweifel an ihrem Status oder ihrer Leistungskraft aufkommen zu lassen – aber sie waren, wie Lock sich eingestehen musste, die wirklich Reichen, sie gehörten einer völlig anderen Rasse an.
    »Ich rufe im Hotel an und lasse einen Tisch reservieren. Sonst hast du alles, was du brauchst? Einen Drink?«
    »Ich mache jetzt die andere Seite.« Oksana drehte sich mit sparsamen Bewegungen auf den Rücken und schloss die Augen. Lock nahm eines der drei Handys, die neben ihm lagen, rief im Hotel an und sprach mit der Rezeption. Er lehnte sich zurück, trank und verfolgte mit den Augen einen Jetski, der durch die Bucht pflügte.
    Leise und abrupt begann eines seiner Handys zu vibrieren. Er schaute hinunter und erkannte die Nummer. Ein französisches Mobiltelefon. Er ließ es einen Moment lang hilflos summen, schloss kurz resigniert die Augen und nahm es in die Hand. »Hallo«, sagte er auf Russisch. Allo . Es klang seltsam hier am Strand, in der Sonne.
    »Hallo Richard.« Diese heisere, tiefe Stimme. »Ich brauche Sie hier, heute Abend. Bitte kommen Sie jetzt.«
    »Natürlich.« Er legte auf und seufzte. Er war nicht bereit, in diese Welt zurückzukehren.

    »Schatz?« Lock wusste nie, ob er sie mit »Schatz« oder »Liebling« anreden sollte. Zu seiner Frau hatte er im Lauf der Jahre mal das eine und mal das andere gesagt, aber für Oksana schien keins von beiden zu passen. Sie wusste, was er sagen würde, und reagierte nicht. »Ich muss für ein paar Stunden weg. Tut mir leid.«
    »Wie lange?«
    »Ich kann das vorher nie sagen. Ich rufe dich an, wenn ich es weiß.«
    Er sammelte seine Handys und seine Brieftasche ein, stand auf und beugte sich zu ihr hinunter. Sie drehte ihren Kopf kaum merklich weg, und er küsste sie auf die Seite des Mundes. »Bestell dir, was du magst. Ich zahle die Rechnung.« Er richtete sich steif auf, zog sein weißes Leinenhemd von der Rückenlehne des Liegestuhls und ging.

    Er hätte den Hubschrauber nach Nizza und von da aus ein Taxi nehmen können – so machten es die meisten Monegassen –, aber er misstraute Hubschraubern. Er hatte sie noch nie leiden können. Flugzeuge waren okay. Flugzeuge hatten Flügel und sahen ein wenig aus wie Vögel, und Vögel konnten fliegen und landen. Für so etwas hielt die Natur Beispiele bereit. Nichts in der Natur glich einem Hubschrauber, abgesehen vielleicht vom geflügelten Samen des Ahornbaums, wenn dieser langsam und unausweichlich dem Boden entgegenrotierte. Es gab noch einen Grund, warum er Hubschrauber mied, allerdings hätte er nicht sagen können, ob dieser eher abergläubisch oder pragmatisch war: Menschen wie er schienen überdurchschnittlich häufig in Hubschraubern zu sterben.
    Nun saß er also frisch geduscht und mit einem beigen Leinenanzug
gekleidet auf dem Rücksitz eines Mercedes und raste durch Tunnel und Bergtäler. Er spürte seine Unruhe zurückkehren. Malin würde ihn nicht wegen irgendwelcher Kleinigkeiten zu sich rufen. Lock hatte sein ganzes Berufsleben damit zugebracht, sich auf das Kommen der Polizei vorzubereiten, doch der Gedanke daran ängstigte ihn immer noch. Lügen war Teil seines Jobs, aber er log im Verborgenen, wie ein Schriftsteller, nicht von Angesicht zu Angesicht wie ein Verkäufer. Fünfzehn Jahre lang arbeitete er jetzt schon daran, mit geschlossenen und offenen Fonds, mit Limited Liability Companies und Limited Liability Partnerships, mit Sociétés Anonymes und Sociétés Anonymes à Responsabilité Limitée, mit Anstalten in Liechtenstein, Stiftungen in der Schweiz und Privatstiftungen in Österreich, mit allen möglichen Abkürzungen in allen existierenden Offshore-Finanzplätzen eine komplexe Fiktion zu schaffen. Er war stolz auf sein Werk, aber nicht restlos davon überzeugt. An der Wand seines Moskauer Büros hing ein riesiges
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