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Der letzte Coyote

Der letzte Coyote

Titel: Der letzte Coyote
Autoren: Michael Connelly
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hatte einen therapeutischen Effekt. Wenn er mit seinen Händen arbeitete, spannte er von seinem Job aus. Die Vordertür ließ er so, wie sie war, ein Denkmal der Naturgewalten. Es machte ihm nichts aus, die Seitentür zu benutzen.
    Trotz aller Mühen erreichte er jedoch nicht, daß das Haus von der Abrißliste der städtischen Bauaufsicht gestrichen wurde. In den Augen des Inspectors, der für diesen Bereich in den Hügeln zuständig war, war es trotz Boschs Reparaturen weiterhin abbruchreif. Und damit begann das Versteckspielen. Bosch betrat und verließ das Haus so unauffällig wie ein Spion eine ausländische Botschaft. Er nagelte schwarze Plastikplanen von innen an die Fenster, damit kein verräterisches Licht nach draußen drang. Und er hielt immer nach Inspector Gowdy Ausschau. Gowdy war seine Nemesis.
    Mittlerweile hatte sich Bosch einen Anwalt genommen, um gegen den Abrißbescheid Einspruch einzulegen.
    Die Tür vom überdachten Abstellplatz für seinen Wagen führte direkt in die Küche, wo Bosch den Kühlschrank öffnete und eine Dose Coca-Cola herausnahm. Dann stand er vor dem alten Kasten, ließ sich von dessen Atem kühlen und untersuchte seinen Inhalt nach Dingen, die sich für ein Abendessen verwenden ließen. Obwohl er genau wußte, was sich in den Fächern und Schubladen befand, inspizierte er trotzdem alles. Als hoffe er auf den Überraschungsfund eines vergessenen Steaks oder einer Hühnerbrust. Er stand oft so vor dem Kühlschrank. Es war das Ritual eines Mannes, der allein lebte. Auch das war ihm bewußt.
    Auf der hinteren Veranda trank Bosch die Cola und aß ein Sandwich, das aus fünf Tage altem Brot und plastikverpacktem Aufschnitt bestand. Er wünschte, er hätte noch ein paar Kartoffelchips. Nach einem einzigen Sandwich würde er zweifellos später wieder Hunger bekommen.
    Er trat ans Geländer und sah auf den Hollywood Freeway hinab, über den sich an diesem Montagabend die Autos Stoßstange an Stoßstange schoben. Er selbst war noch vor dem stärksten Berufsverkehr aus Downtown herausgekommen. In Zukunft würde er darauf achten müssen, die Sitzungen bei der Polizeipsychologin nicht zu überziehen. Sie waren für montags, mittwochs und freitags 15.30 Uhr angesetzt. Er fragte sich, ob Carmen Hinojos je eine Sitzung hatte länger laufen lassen. Oder beschränkte sich ihre Mission auf die Vierzigstundenwoche?
    Von da wo er stand konnte er fast alle Fahrbahnen in nördlicher Richtung verfolgen. Wie sie durch den Cahuenga Paß ins San Fernando Valley drangen. Er dachte darüber nach, was er während der Sitzung gesagt hatte, und versuchte zu entscheiden, ob sie gut oder schlecht verlaufen war. Aber seine Gedanken schweiften ab, und er begann die Stelle zu beobachten, wo der Freeway auf dem Paß in Sicht kam. Geistesabwesend wählte er jeweils zwei Autos aus, die ungefähr gleichzeitig über den Paß kamen, und beobachtete sie auf dem meilenlang sichtbaren Abschnitt des Freeways. Er setzte auf einen der Wagen und verfolgte das Rennen, von dem die Fahrer nichts ahnten, bis zum Ziel, dem Lankershim Boulevard.
    Nach ein paar Minuten wurde ihm bewußt, was er tat. Er drehte sich abrupt um, weg vom Freeway.
    »Jesus«, stieß er hervor.
    Es war ihm nun klar, daß handwerkliche Beschäftigung allein während seiner Suspendierung nicht reichen würde. Er ging hinein und holte sich eine Flasche Henry’s aus dem Kühlschrank. Als er das Bier geöffnet hatte, klingelte das Telefon. Sein Partner Jerry Edgar war am Apparat, und der Anruf war eine willkommene Ablenkung von der Stille.
    »Na, Harry, wie läuft’s in Chinatown?«
    Weil jeder Polizist insgeheim fürchtete, eines Tages unter dem Druck seines Jobs zusammenzubrechen und Patient der polizeilichen Abteilung für Verhaltenstherapie zu werden, wurde der offizielle Name selten ausgesprochen. Therapiesitzungen wurden daher meistens als ›Gang nach Chinatown‹ bezeichnet, weil sich die Abteilung dort in der Hill Street befand, mehrere Straßen vom Parker Center entfernt. Falls von einem Cop bekannt wurde, daß er dorthin ging, hieß es, er hatte den ›Hill Street Blues‹. Das sechsstöckige Bankgebäude, in dem die VTh untergebracht war, war auch unter der Bezeichnung ›Einundfünfzig-Fünfzig‹ bekannt. Dabei handelte es sich nicht um die Adresse, sondern um den Polizeifunkcode für Geisteskranke. Der Berufsjargon war Teil eines Schutzpanzers. Man machte sich über die Sache lustig und verdrängte so die eigenen Ängste leichter.
    »Chinatown
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