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DER LETZTE BESUCHER

DER LETZTE BESUCHER

Titel: DER LETZTE BESUCHER
Autoren: Chris Böhm
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ihr vor. Sie zog sich in ihr Schnecke n haus zurück, wurde immer apathisch er , magerte ab und konnte nachts nicht mehr schlafen . Wann hatte sie aufgehört, sich gegen ihren Mann aufzulehnen? Sie wusste es nicht mehr. Daniel b e stimmte, wann, wie oft und wie lange sie das Haus ve r lassen du rfte , mit wem sie sich traf, wie sie sich kleidete, was sie einkaufte. Gehorchte sie ihm nicht, wurde sie b e straft . Zuerst m it Liebesentzug , das stand auf der Skala ganz oben, mit Nichtbeachtung und später immer öfter mit Schlägen. Bat sie ihn um Verzeihung, ve r zieh er ihr großmütig, brachte ihr Blumen oder kleine G e schenke und überschüttete sie mit Zär t lichkeit en . Und alles fing wieder von vorne an .
     
    Helen gab sich einen Ruck. Sie stand auf und ging ins Bad. Monoton murmelte sie vor sich hin : „ Ich muss hier weg, ich muss endlich weg“, und dann schoss es ihr plöt z lich heiß du rch den Kopf : Sabine . Ja, Sabine muss mir helfen ! “
    Sabine, die Kollegin und Vertraute aus längst ve r gangenen glücklichen Tagen. Als sie noch die tüchtige und energische Helen war, die das Leben liebte und in vollen Zügen g e noss. War sie das wirklich gewesen? Sie erinnerte sich kaum noch daran. Vielleicht war es ein Wink des Schicksals , als sie sich vor vier Wochen beim Einkaufen plötzlich gegenüber ge standen hatten . Sabine, fast unve r ändert, temperamen t voll und attraktiv wie eh und je und sie, das genaue Gegenteil. Plötzlich war sie sich ihrer Magerkeit, ihrer u n gepflegten Frisur und ihrer schäbigen Jeans bewusst geworden. Panische Angst hatte sie gehabt , dass Sabine sie ausfragen könnte über ihr Leben und vor allem über Daniel. Sie schämte sich en t setzlich , und d eshalb hatte sie sich nach kurzer Zeit hastig verabschiedet und war g e flohen.
    Irgendwo musste die Visitenkarte liegen, die Sabine ihr gegeben hatte. Sie hatte sie damals versteckt, damit Daniel sie nicht fand. Wo hatte sie sie nur hingetan? Ach ja , richtig, in ihre Kosmetiktasche. Ganz unten zwischen Lippenstiften, zerbröckeltem Make-up , Nagelfeile , Haa r nadeln und anderem Krimskrams hatte sie die Karte ve r steckt. Gleich nachher würde sie sie herau s suchen. Schon lange hatte sie kein Make-up , keinen Lippenstift mehr benutzt. Genau g e nommen seit dem Tag, als ihr Mann sie wutentbrannt aus dem Treppenhaus zurück in die Wohnung und ins Bad g e zerrt , ihren Kopf unter d en laufende n Wasser hahn gehalten und mit einem Wa s chlappen so lange in ihrem Gesicht heru m gerieben hatte, bis sie nach Luft schnappend vor Schmerz und Angst laut geschrien hatte.
    „ Du Hure“, hatte er ge brüllt und „ich weiß genau, wen du damit reizen willst. Das werde ich dir schon noch au s treiben . “
    Dabei hatte sie nur ein paar freundliche Worte mit dem neuen Mieter aus dem dritten Stock gewechselt, dem sie im Treppenhaus zufällig begegnet war. Ein großer , schlanker , sympathisch aussehender Mann mit du nk e l blonden Haaren, nur wenig älter als sie , der sie stets hö f lich grüßte. Er schaute sie seither immer so fragend und fast mitleidig an. Bestimmt machte er sich so seine G e danken.
       
    Sie schaute auf die Uhr. Um Himmels willen, so spät schon! Sie war noch nicht einmal fertig angezogen , und der Kühlschrank war auch fast leer. Sie musste unbedingt ei n kaufen , die Wohnung aufräumen und sich dann später um das Essen kümmern. Aber morgen, morgen würde sie dann ganz b e stimmt Sabine anrufen. Sie wollte gerade ins Bad gehen, um Sabines Karte aus der Kosmetiktasche zu holen, da klingelte es. Helen schrak zusammen. Sie l auschte an der Tür und nahm dann zaghaft den Hörer der Gegensprec h anlage a b. Als sie Sabines Stimme hörte, fing sie an zu zittern. Auf keinen Fall du rfte sie sie jetzt herau f bitten.  Was , wenn Daniel plötzlich nach Hause käme? Er war schon öfter unverhofft aufgetaucht, um sie zu kontrollieren. Panik ergriff sie . Er du rfte Sabine auf keinen Fall begegnen. Sie hatte Angst, dass ihre Stimme sie ve r raten würde, als sie Sabine hastig erklärte, dass sie krank sei und sie bitte gehen solle. Versprach ihr, sie morgen Vormittag ganz bestimmt anz u rufen. Ihre Hand, die sich um die Sprechmuschel krampfte und den Hörer dann wieder langsam einhängte, war schwei ß nass.
    Langsam ging sie zurück in den hinteren Teil des Woh n zimmers und öffnete die Tür zum Balkon. Du rch den großen Kastanienbaum im Hof flutete warm und freundlich das Sonnenlicht und malte Kringel und Muster
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