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Der letzte Aufguss

Der letzte Aufguss

Titel: Der letzte Aufguss
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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errungen, nicht nur
deshalb war es auch eines der Reichsten. Einen berühmten Chor gab es natürlich
auch, der jeden Tag den Evensong in der College-Kapelle sang. Und immer noch
fand jeden Abend ein förmliches Dinner statt, bei dem die Studenten in ihren
Gowns, den akademischen Talaren, erscheinen mussten. Drei Gänge, silbernes
Besteck, Kerzen auf dem Tisch.
    Und dann gab es da noch diese besondere Beziehung zu Schwänen, auf
die sich der Professor ganz besonders gefreut hatte.
    Einige Sekunden verweilte der Professor vor dem Front Gate. Von
links und rechts sahen ihn mythische Bestien aus Stein neugierig an, die Yales
genannt wurden. Sie hatten die Schwänze von Elefanten, den Körper von Antilopen
und die Köpfe von Ziegen. Über dem Eingang thronte St John, zu seinen Füßen ein
Adler, das traditionelle Symbol des Evangelisten.
    Das würde den Studenten beim Eintritt tüchtig Ehrfurcht einflößen.
Gut so.
    Ein Schild teilte mit, dass ein Besuch des Colleges heute nicht
möglich war. Der livrierte Pförtner beäugte Bietigheim ausgiebig. Na, der würde
sich wundern, dass der neue Gastprofessor vor ihm stand! Bietigheim näherte
sich, bereit, sich tadelnd zu räuspern, doch der Pförtner trat bereits zur
Seite.
    Â»Herzlich willkommen, Professor Dr. Dr. Bietigheim.«
    Adalbert konnte nicht anders, als huldvoll nicken. Woher wusste
dieser Mann bloß …? Dann sah er die Antwort im Pförtnerhäuschen. Dort hingen
Fotos aller Studenten und Fellows, die Neuesten zuoberst – und ganz oben
Professor Dr. Dr. Adalbert Bietigheim, der Name daneben in Lautschrift
niedergeschrieben. Respekt!
    Weiter ging es durch den First Court, den ersten Hof des Colleges,
der von Gebäuden in rötlichem Backstein umrahmt war. Er war quadratisch, mit
perfekt gepflegtem englischen Rasen. Am nördlichen Ende thronte die
College-Kapelle. Es folgten der zweite sowie der dritte Court. Die ganze Zeit
wurde Bietigheim das Gefühl nicht los, aus unzähligen Fenstern beäugt zu werden.
    Vielleicht hatte er damit gar nicht so unrecht.
    Wenige Meter vom Büro des Masters, Professor W. W. Stuart, entfernt,
drückte ihm ein dunkelhaariger, in Tweed gekleideter Student im Vorbeigehen
etwas in die Hand und verschwand wortlos wieder in den Gängen. Als Bietigheim
nachschaute, war es ein Umschlag mit dem Siegel der Port Wine Society.
Merkwürdig. Er wollte ihn gerade öffnen, als die Tür vor ihm aufging und der
Master höchstselbst herauskam, seinen Arm um ihn legte und ihn jovial
hineingeleitete. Bestimmt würden sie ihm zu Ehren nun Scones, Sandwiches mit
Gurken, Ei und Kresse und natürlich einen herrlichen Tee auftischen. Genau das
brauchte er jetzt!
    Doch im Inneren erwartete ihn ein Kuchen mit seinem Namen in
Puderzucker und brennenden Wunderkerzen.
    Â»Ein deutscher Marmorkuchen, extra für Sie. Herzlich willkommen im
St Johnʼs College!«
    Sie hatten auch Bier aus Deutschland besorgt, doch kein Hamburger
Holsten sondern Kölsch. Es stand neben dem Kuchen. Wie nett. Sie nötigten ihn
dazu, es zu trinken.
    Anwesend waren noch andere Fellows des Colleges, einige davon kannte
Bietigheim noch aus seiner Zeit als Student und Junior-Professor. Auch der
Master war damals schon hier tätig gewesen, er sah aus wie Siegfried aus »Der
Doktor und das liebe Vieh« und trug sogar Lederflicken an den Ellbogen seines
Sakkos. W. W. Stuart war geradezu überschäumend fröhlich und energiegeladen.
    Bietigheim fand, dass sich ein solches Benehmen für einen Professor
einfach nicht gehörte.
    Der Master klopfte ihm auf die Schulter wie einem prächtigen Gaul. »Darf
ich sagen, wie überglücklich wir sind, dass Sie die Gastprofessur angenommen
haben? Ein solch hochrenommierter Mann wie Sie ist ein Glücksfall für unsere
Studentenschaft! Wie heißt es doch so schön: Excellence breeds excellence. Sie
haben uns damit aus einer Bredouille gerettet – und St Johnʼs vergisst so etwas
nicht.«
    Â»Sehr gern. Ich möchte gleich zu Protokoll geben, dass ich das, was
heute in der Zeitung stand, nie geäußert habe. So etwas würde ich nie …«
    Â»Weiß ich doch, habe ich auch nicht einen Augenblick angenommen! Die
Redaktion hat schon angerufen und es klargestellt. Alles wun-der-bar!«
    Bietigheim wusste nicht, ob das Lächeln des Masters so unbekümmert
war, wie es
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