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Der letzte Aufguss

Der letzte Aufguss

Titel: Der letzte Aufguss
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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her? Anscheinend sind die Anforderungen an die Studenten
laxer geworden.«
    Â»Andere rudern in ihrer Freizeit.«
    Â»Das sollten Sie auch, statt für ein solches Schmierblatt zu
schreiben. Oder fasziniert Sie etwa dieser Fall? Obwohl Sie von Tee nicht den
Schimmer einer Ahnung haben?«
    Broadbent richtete sich zu voller Größe auf. Was allerdings nicht
viel bedeutete. »Ich kenne mich sehr wohl mit Tee aus! Während meiner Schulzeit
habe ich in den Ferien immer wieder in Kew Gardens gearbeitet, freiwillig und
unentgeltlich. Im Temperate House, wo es auch eine Teepflanze gibt, eine
Camellia sinensis. Ich habe meine Arbeit dort geliebt, der botanische Garten
war wie eine eigene Welt. Eine echte Oase der Ruhe und Friedlichkeit.«
    Bietigheim kannte Kew Gardens und das Temperate House gut. Und
schätzte sie ebenfalls. Vielleicht war an diesem Studenten doch nicht alles
verkehrt. »Also gut, schießen Sie Ihr Foto von mir.« Bietigheim stellte sich
ans Ufer des Cam, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, das Gesicht in
Denkermanier.
    Zwei Fragen hatte er dem jungen Broadbent noch nicht gestellt,
obwohl sie seit seiner Ankunft in Cambridge in seinem Kopf herumspukten wie
ruhelose Poltergeister.
    Â»Woran ist der Earl gestorben?«
    Â»Man fand Tee in seiner Speiseröhre. Zuerst dachte man, er sei daran
erstickt. Doch die Todesursache war ein Schädelbruch, verursacht durch einen
Schlag mit einem stumpfen Gegenstand.«
    Würde wohl doch nichts werden mit der Ruhe. »Haushaltsvakuumierer«,
murmelte Bietigheim.
    Â»Was?«
    Â»Und woran ist Cleesewood gestorben?«
    Â»Was Sie eben sagten, klang aber eher wie Haushaltsvakuumierer.«
    Â»Nein, das habe ich nicht gesagt.«
    Â»Doch.«
    Â»Nein. Und wenn ich jetzt keine Antwort auf meine vor sicher drei
Minuten an Sie gestellte Frage von Ihnen bekomme, drehe ich mich auf dem Absatz
um und gehe, rufe aus meinem Büro Ihre Redaktion an und sage, dass Sie Ihre
Quelle erfunden haben und ich einen Rechtsanwalt einschalte.«
    Â»Das würden Sie nicht wagen!«
    Â»Woran ist er gestorben? Das Universum ist endlich, und um meine
Geduld steht es nicht besser.«
    Â»Man weiß es nicht.«
    Â»Wie bitte?«
    Â»Die Todesursache konnte nicht ermittelt werden. Offiziell heißt es,
er sei an dem Tee gestorben, der auch in seiner Speiseröhre gefunden wurde,
aber das stimmt wohl nicht. Es ist ein Rätsel.« Broadbent blickte auf seine
Schuhe. Das hatte er zuvor noch nicht getan.
    Â»Da ist noch etwas. Spucken Sie die Information aus. Und nehmen Sie
endlich Haltung an. Sie stehen da wie ein nasser Sack in der Kurve.«
    Â»Ich fange an, Sie ins Herz zu schließen.«
    Â»Werden Sie ja nicht frech! Wissen Sie was? Ich gehe nun, Ihre Zeit
ist um, die Information werde ich auch andernorts erhalten.«
    Broadbent baute sich vor dem Professor auf, doch der umschiffte ihn
einfach. Da der junge Kotelettenträger sich nicht traute, Bietigheim
aufzuhalten, musste er zügigen Schritts neben ihm hergehen.
    Â»Okay, ich gebe Ihnen die Info ja schon. Sie sind ein ganz schön
harter Hund, obwohl Sie gar nicht so aussehen. Das ist ein Kompliment! Was ich
Ihnen noch sagen wollte, weil ich ein guter Student bin, den man nirgendwo
anzuschwärzen braucht: Der Tee, den man in den Speiseröhren der beiden
Ermordeten fand, war der Gleiche, welcher auch zum Füllen der Punting-Boote genutzt
wurde.«
    Â»White Darjeeling?«
    Broadbent nickte.
»White Darjeeling. Ich hoffe, das trifft Ihren Geschmack.«
    Â»Und wo bekommt man diesen Tee in Cambridge?«
    Â»Diese spezielle Sorte nur in Auntieʼs Tea House. Dort behauptet man
jedoch, nicht zu wissen, wer ihn gekauft hat. Ich glaube denen kein Wort. Ist
ohnehin ein komischer Laden. Ständig suchen die Personal, da hält es wohl
keiner lange aus. Die Chefin muss eine fürchterliche Schreckschraube sein.«
    Bietigheim verließ den Studenten mit einem kurzen Nicken des Dankes,
denn wie ihm seine Uhr verriet, erwartete man ihn bereits im St Johnʼs College,
seiner neuen Heimat. Zwar lebte er nicht dort, doch war er diesem zugeordnet,
zudem existierte ein Büro, in dem Studenten ihm – zu vorher festgelegten
Sprechzeiten – Fragen stellen durften. Das St Johnʼs war das drittgrößte
College der Stadt und bereits 1511 gegründet worden. Zehn Nobelpreise hatten
die Fellows dieses konservativ-traditionellen Hauses
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