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Der leiseste Verdacht

Der leiseste Verdacht

Titel: Der leiseste Verdacht
Autoren: Helena Brink
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Bergh hatte alle Mühe mitzuschreiben.
    PM trommelte ungeduldig mit den Fingern auf die Fensterbank. Worüber redeten sie nur die ganze Zeit? Was zum Teufel erzählte sie ihnen alles? Ihrer überschwänglichen Gestik nach zu urteilen, musste es sich um etwas äußerst Interessantes handeln. Er schaute sie fasziniert an. In seinen Augen war sie schon immer eine rätselhafte Mischung aus südländischem Temperament und schwedischem Pragmatismus gewesen.
    Eine Kombination, die ihn verwirrte und anzog.
    Unter ihren Vorfahren war einst ein italienischer Immigrant gewesen, dessen Gene, wenn auch quasi in abgeschwächter Form, sowohl ihr Aussehen als auch ihren Charakter vorteilhaft 18

    beeinflussten. Ihm hatte sie die aristokratische Krümmung ihrer vielleicht eine Spur zu großen Nase zu verdanken, ebenso ihre dunklen, bernsteinfarbenen Augen sowie ihr dichtes, schwarzes Haar, das sie in einem langen, geflochtenen Zopf auf dem Rücken trug.
    Der feine olivfarbene Teint ihrer Haut vervollständigte den Eindruck, dass ihre Wurzeln am Mittelmeer lagen. Ihre Schönheit hatte einen zutiefst individuellen Charakter, und er wurde niemals müde, sie zu zeichnen. Er war davon überzeugt, dass sich alle Männer von ihr angezogen fühlten, und hätte ihre schwedische Nüchternheit in der Ehe nicht die Oberhand gewonnen, wäre er vor Eifersucht noch verrückt geworden.
    Endlich löste sich die Gruppe an der Hofeinfahrt auf.
    Katharina ging dem Haus entgegen, während die Polizisten in ihr Auto stiegen. PM entdeckte seine Pfeife, die er vorhin auf den Herd gelegt haben musste, um den beiden Beamten die Tür zu öffnen. Er ließ sie liegen und eilte in die Diele, um seine Frau zu begrüßen.
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    Dagens Nyheter, Donnerstag, 20. April
    Rätselhafter Leichenfund in Jauchegrube Auf einem unweit von Christiansholm gelegenen Bauernhof machte ein Landwirt gestern eine grausige Entdeckung, als er beim Abpumpen der Gülle auf eine stark verweste und zersetzte männliche Leiche stieß. Die Polizei hält es für unwahrscheinlich, dass es sich um ein Unglück handelt, und geht bis auf weiteres von einem Verbrechen aus. Wie lange der Körper, der bislang nicht identifiziert werden konnte, in der ätzenden Flüssigkeit gelegen hat, ist schwer zu beurteilen. Die Polizei bittet die Bevölkerung um ihre Mithilfe und ist besonders an Hinweisen über Personen interessiert, die seit vier bis acht Monaten als vermisst gelten.
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    Donnerstag, 20. April
    Katharina legte die Zeitung beiseite und sah ihren Mann nachdenklich an, während sie ihren heißen Kaffee schlürfte. Er war tief in seine Morgenlektüre versunken, eine Gebrauchsanweisung für einen Kaminofen, der mittelfristig dazu beitragen sollte, ihre Heizkosten zu senken. Er kaute abwesend an seinem Butterbrot mit gekochtem Ei und Kaviarcreme und war sich der Aufmerksamkeit seiner Frau nicht bewusst.
    »Weißt du, was ich glaube?«, fragte sie.
    Er war weiter in seine Broschüre vertieft. »Mmm?«
    »Ich glaube, sie haben seinen Geliebten aus der Grube gefischt.«
    PM schaute auf. »Wessen Geliebten?«
    »Na, den des so genannten Bauern.«
    »Wovon redest du?«
    Katharina reichte ihm die Zeitung und deutete auf eine Notiz.
    »Ich rede von dem schrecklichen Gewaltverbrechen, das unsere beschauliche Provinz erschüttert.«
    Er überflog die Zeilen. »Was hast du von einem Geliebten gesagt?«
    »Ich habe den Gedanken geäußert, dass es der Geliebte des angeblichen Bauern gewesen sein könnte, den sie aus der Jauchegrube gefischt haben.«
    »Geht jetzt deine Fantasie mit dir durch?«
    »Was ist dagegen einzuwenden, wir sind doch unter uns.«
    »Wieso nimmst du an, dass er schwul ist?«
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    »Ach, ich habe keine Ahnung von seinen Neigungen. War doch nur so eine Idee. Gibt’s noch Kaffee?«
    Er schenkte ihnen beiden nach. »Warum sagst du
    ›angeblicher‹ Bauer?«
    »Auch nur so eine Idee.«
    Er legte die Broschüre weg, lehnte sich zurück und faltete die Hände hinter dem Nacken.
    »Du machst mich neugierig«, sagte er. »Erzähl!«
    Katharina rührte in ihrer Tasse und sah aus dem Fenster.
    Draußen hatte es begonnen zu schütten. Es sah aus wie ein grauer Vorhang.
    »Oh je, ich hoffe, es hört auf, bis ich fahre«, sagte sie. »Wir haben zwar Regen gebraucht, aber jetzt reicht es langsam.« Sie gähnte und zog ihren Bademantel enger um sich. »Ich habe doch schon früher gesagt, dass er als Bauer keine überzeugende Figur abgibt.«
    »Hast du irgendwas Bestimmtes gegen ihn?«
    »Nein,
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