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Der leiseste Verdacht

Der leiseste Verdacht

Titel: Der leiseste Verdacht
Autoren: Helena Brink
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dieser Gegend spurlos verschwunden?«
    PM dachte eine Weile nach, bevor er den Kopf schüttelte.
    »Hier geschieht nie etwas Ungewöhnliches«, entgegnete er.
    »Zumindest nicht, was die Menschen betrifft. Außerordentliche Beobachtungen habe ich nur in der Natur gemacht.«
    »Und die wären?«
    »Ich spreche von Tieren.«
    Der Polizeimeister hielt seinen Stift bereit.
    PM begann zögerlich: »Ungefähr vor einem Monat hatten wir zeitweise einen Steinadler auf unserem Grundstück. Der hielt sich in der großen Eiche unten am Bach auf, aber ich nehme an, das gehört nicht hierher.« Er blickte aus dem Fenster und fuhr nachdenklich fort: »Von den Leuten in dieser Gegend kann ich 10

    nichts Ungewöhnliches berichten. Manchmal fällt mir das Leben hier schwer, weil alles so vorhersehbar ist. Obwohl man natürlich nicht vorhersehen kann, dass jemand in die Jauchegrube fällt. Das muss jemand gewesen sein, der nicht aus der Gegend kam. Jemand, der nicht wusste, dass die hiesigen Bauern die Angewohnheit haben, tonnenweise Schweinekot in ihren Gruben aufzubewahren. Andererseits sind die Jauchegruben doch eingezäunt.«
    »Eben«, entgegnete Wagnhärad. »Wir glauben nicht, dass der Mann versehentlich in die Grube fiel. Es sieht eher so aus, als sei er hineingestoßen worden.«
    PM streckte den Rücken. »Ein Mord also?«
    »Vermutlich.«
    »Das wäre in dieser Gegend ja wirklich ziemlich ungewöhnlich«, räumte PM ein.
    Der Kommissar nahm einen weiteren Anlauf. »Sie haben also nichts Ungewöhnliches bemerkt, das in Verbindung mit dem Vorfall stehen könnte, den wir soeben geschildert haben?«
    »Nein.«
    »Kennen Sie jemanden aus dieser Gegend, der plötzlich verschwunden oder weggezogen ist?«, wiederholte Wagnhärad.
    »Natürlich kommt es vor, dass Leute wegziehen. Der vorherige Besitzer von Knigarp ist vor einem halben Jahr weggezogen.«
    »Das ist uns bekannt. Noch andere, die weggezogen sind?«
    »Der alte Ström oben an der Kurve ist letzten Herbst ins Altersheim gezogen.«
    »An welcher Kurve?«
    »Wenn Sie die Straße in nordwestliche Richtung nehmen, sehen Sie oben am Waldrand ein Haus stehen, genau dort, wo die Straße einen Knick macht. Wahrscheinlich steht es jetzt leer.
    Ström war Witwer und nicht mehr sehr gut beieinander. Ich 11

    nehme an, sie konnten ihn schließlich davon überzeugen, dass er in einem Altersheim besser aufgehoben ist als zu Hause. Ich habe ihn seitdem nicht mehr gesehen.«
    »Wir werden das nachprüfen. Können Sie uns etwas über Ihren neuen Nachbarn sagen?«
    »Da fällt mir nichts ein.«
    »Also irgendwas werden Sie uns doch sagen können.«
    PM lachte. »In diesem Fall haben Sie Pech, dass Sie ausgerechnet heute kommen. Meine Frau und meine Tochter haben eine viel bessere Wahrnehmung, was Ereignisse in der Nachbarschaft betrifft. In dieser Hinsicht gelte ich in meiner Familie als hoffnungsloser Fall.«
    Wagnhärad warf einen Blick auf die Uhr. »Dann sollten wir vielleicht auch mit Ihrer Frau und Ihrer Tochter sprechen. Wann kommen sie nach Hause?«
    »Meine Frau kommt gegen drei Uhr, aber meine Tochter werden Sie nicht antreffen, es sei denn, Sie fahren nach Kalmar.
    Sie geht dort aufs Gymnasium und wohnt bei meiner Schwester.«
    Wagnhärad stieß einen unwillkürlichen Seufzer aus und wirkte mit einem Mal ein wenig gehetzt. »Wir werden sehen, ob wir bis drei wieder hier sein können.«
    Er sah PM forschend an, als überlege er, ob es der Mühe wert war, diesem Sonderling noch mehr Informationen aus der Nase zu ziehen. PM hingegen verspürte eine gewisse Sympathie für diesen Kriminalkommissar mit seiner Passion für alte Häuser und wollte ihm gern behilflich sein. »Über meinen neuen Nachbarn weiß ich wirklich nichts zu sagen, aber über seinen Hof kann ich Ihnen so einiges erzählen«, sagte er.
    Wagnhärad nickte zweifelnd. »Aha …«
    »Ich habe ihn schließlich seit fast zwanzig Jahren beobachten können, habe seine Veränderung und seinen Verfall erlebt.«
    12

    »Seinen Verfall?«
    »Das ist noch vorsichtig ausgedrückt. Als wir vor achtzehn Jahren hierher kamen, war er in Besitz meines Onkels, der den Hof vierzig Jahre lang vorbildlich bewirtschaftet hat. Er hatte Milchkühe und baute Rüben, Getreide und Kartoffeln an.
    Schweine hatte er auch, aber in überschaubarer Anzahl. Nicht dass der Hof früher so gewaltige Erträge abgeworfen hätte, aber heute ist er völlig runtergewirtschaftet und kann niemanden mehr ernähren. Während der letzten elf Jahre haben sich
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