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Der Lavendelgarten

Der Lavendelgarten

Titel: Der Lavendelgarten
Autoren: Lucinda Riley
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Tochter!«
    Plötzlich zuckte eines von Valéries Augen, und Emilie bekam es mit der Angst zu tun, dass Maman noch am Leben war und ihre Worte gehört hatte. Sie fühlte Valéries Puls und ertastete keinen. Es war nur ein Nachhall des Lebens, als sich Valéries Muskeln im Tod entspannten.
    »Maman, ich werde versuchen, dir zu vergeben und dich zu verstehen, aber momentan weiß ich nicht, ob ich glücklich oder traurig über deinen Tod bin.« Emilie spürte, wie ihr Atem schwerer ging, eine Reaktion auf den Schmerz, den es ihr bereitete, die Worte laut auszusprechen. »Ich habe dich so sehr geliebt, so sehr versucht, dir alles recht zu machen, deine Liebe und Aufmerksamkeit zu gewinnen, mich als deine Tochter würdig zu erweisen. Mein Gott, ich habe wirklich alles getan!« Emilie ballte die Hände zu Fäusten. »Du warst meine Mutter !«
    Der Klang ihrer eigenen Stimme, die in dem riesigen Schlafzimmer widerhallte, ließ sie verstummen. Ihr Blick fiel auf das Familienwappen der de la Martinières, das zweihundertfünfzig Jahre zuvor auf das imposante Kopfteil des Betts gemalt worden war. Inzwischen waren die beiden ineinander verkeilten wilden Eber, die allgegenwärtige bourbonische Lilie und das Motto »Sieg ist alles« verblichen und kaum noch zu erkennen.
    Trotz der Wärme im Raum erschauderte Emilie. Die Stille im Château war ohrenbetäubend. Das Haus, früher so voller Leben, nun eine leere Hülle, beherbergte nur noch die Vergangenheit. Sie betrachtete den Siegelring am kleinen Finger ihrer rechten Hand, auf dem das Familienwappen in Miniatur prangte. Emilie war der letzte lebende Spross der de la Martinières.
    Plötzlich spürte Emilie die Last der Jahrhunderte auf ihren Schultern und die Traurigkeit darüber, dass eine große, vornehme Linie sich auf eine unverheiratete, kinderlose Dreißigjährige reduziert hatte. Die Familie hatte Jahrhunderte der Zerstörung überdauert, doch nach dem Zweiten Weltkrieg war nur noch ihr Vater übrig gewesen.
    Wenigstens würde es nicht die üblichen Erbstreitigkeiten geben. Aufgrund eines alten napoleonischen Gesetzes erbten alle Geschwister das Hab und Gut ihrer Eltern zu gleichen Teilen. Viele Familien hatte es an den Rand des Ruins gebracht, wenn ein Kind sich weigerte, seinen Anteil zu veräußern. In ihrem Fall war sie die einzige héritière en ligne directe .
    Emilie seufzte. Gut möglich, dass sie verkaufen musste, doch mit dem Gedanken würde sie sich ein andermal beschäftigen. Jetzt war die Zeit des Abschiednehmens.
    »Ruhe in Frieden, Maman.« Sie drückte einen leichten Kuss auf Valéries fahle Stirn und bekreuzigte sich. Dann erhob sie sich müde, verließ den Raum und schloss die Tür hinter sich.

2
    Zwei Wochen später
    Emilie trat mit Café au lait und Croissant durch die Küchentür in den Lavendelgarten hinter dem Haus. Das Château ging direkt nach Süden, so dass sich die Morgensonne hier am besten genießen ließ. Es war ein lauer Frühlingstag, mild genug, um sich im T-Shirt draußen aufzuhalten.
    Bei der Beerdigung ihrer Mutter in Paris achtundvierzig Stunden zuvor hatte es unaufhörlich geregnet. Während des Empfangs hinterher – der auf Valéries Wunsch im Ritz stattfand – hatte Emilie Beileidsbezeigungen von den Großen und Wichtigen erhalten. Die Frauen, meist im Alter ihrer Mutter, hatten alle Schwarz getragen und Emilie an einen Schwarm Krähen erinnert. Altmodische Hüte hatten ihr licht gewordenes Haar verborgen, als sie an ihrem Champagner nippten, die Körper vom Alter ausgezehrt, das Make-up maskenähnlich auf ihrer faltigen Haut.
    In ihrer Blütezeit waren sie die schönsten und mächtigsten Frauen von Paris gewesen, doch die Zeit hatte frisches Blut hervorgebracht. Die alten Frauen warteten nur noch auf den Tod, hatte Emilie traurig gedacht, als sie das Ritz verließ und ein Taxi heranwinkte, das sie zurück zu ihrer Wohnung bringen sollte. In ihrem Kummer hatte sie bedeutend mehr Wein getrunken als sonst und war am folgenden Morgen mit einem Kater aufgewacht.
    Immerhin war das Schlimmste vorbei, tröstete Emilie sich, als sie einen Schluck Kaffee nahm. In den vergangenen beiden Wochen war wenig Zeit gewesen, sich auf etwas anderes als die Organisation der Beisetzung zu konzentrieren. Ihr war klar, dass sie ihrer Mutter zumindest den Abschied schuldete, den Valérie selbst so perfekt arrangiert hätte. Emilie hatte sich dabei ertappt, wie sie sich Gedanken machte, ob sie Cupcakes oder Petits fours zum Kaffee reichen sollte und ob
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