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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit
Autoren: Nelson Mandela
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Herrschern Südafrikas gefördert wurden.
    Mein Vater hielt nichts von den Vorurteilen gegen die amaMfengus, und zwei amaMfengu-Brüder, George und Ben Mbekela, waren seine Freunde. Beide Brüder bildeten in Qunu eine Ausnahme: Sie waren gebildet, und sie waren Christen. George, der ältere, war pensionierter Lehrer, und Ben war Polizei-Sergeant. Obwohl sich die Mbekela-Brüder zum Christentum bekehrt hatten, hielt mein Vater sich davon fern und bewahrte seinen Glauben an den Großen Geist der Xhosas, Qamata, den Gott seiner Väter. In der Tat war mein Vater ein nichtamtlicher Priester, der über das rituelle Schlachten von Ziegen und Kälbern wachte und dieses Amt auch versah bei lokalen traditionellen Riten bei Saat und Ernte, bei Geburten und Hochzeiten, bei Initiationszeremonien und Bestattungen. Er brauchte keine Priesterweihe, denn die traditionelle Religion der Xhosas wird geprägt durch kosmische Ganzheit, so daß zwischen dem Heiligen und dem Säkularen, zwischen dem Natürlichen und dem Übernatürlichen nur geringe Unterschiede bestehen.
    Auf meinen Vater färbte der Glaube der Mbekela-Brüder zwar nicht ab, doch inspirierte er meine Mutter, die Christin wurde. Ihr Name Fanny war tatsächlich ihr (christlicher) Vorname, denn sie hatte ihn in der Kirche erhalten. In der Tat war es dem Einfluß der beiden Brüder zuzuschreiben, daß ich selbst in der Methodisten-Kirche (oder Weslean Church, wie man sie damals nannte) getauft und dorthin zur Schule geschickt wurde. Die Mbekela-Brüder sahen mich oft in der Nähe beim Spielen oder Schafehüten. Mitunter kam der eine oder der andere, um sich mit mir zu unterhalten, und eines Tages besuchte George Mbekela dann meine Mutter. »Dein Sohn ist ein aufgeweckter kleiner Kerl«, sagte er. »Er sollte zur Schule gehen.« Meine Mutter schwieg. Niemand in meiner Familie hatte je die Schule besucht, und meine Mutter war auf den Vorschlag Mbekelas nicht vorbereitet. Doch teilte sie ihn meinem Vater mit, der trotz – oder vielleicht wegen – seines eigenen Mangels an Bildung auf der Stelle entschied, daß sein jüngster Sohn die Schule besuchen sollte.
    Die Schule befand sich in einem einräumigen Haus westlichen Stils auf der anderen, Qunu abgewandten Seite des Hügels. Am Tag vor meinem ersten Schultag – ich war inzwischen siebeneinhalb Jahre alt – nahm mich mein Vater beiseite und erklärte mir, für die Schule müßte ich ordentlich gekleidet sein. Bis dahin hatte ich, wie alle Jungen in Qunu, nur eine Wolldecke getragen, über eine Schulter geschlungen und an der Hüfte zusammengesteckt. Mein Vater nahm eines seiner Hosenpaare und schnitt die Hosenbeine in Kniehöhe ab. Er befahl mir, die Hose anzuziehen, was ich auch tat, und sie hatte ungefähr die richtige Länge, war jedoch um die Hüften viel zu weit. Daraufhin nahm mein Vater ein Stück Schnur und straffte die Hose an der Taille. Ich muß einen komischen Anblick geboten haben, doch nie habe ich ein Kleidungsstück besessen, auf das ich stolzer gewesen wäre als auf meines Vaters abgeschnittene Hose.
    Am ersten Schultag gab meine Lehrerin, Miss Mdingane, jedem von uns einen englischen Namen und erklärte, von nun an sei das der Name, auf den wir in der Schule zu hören hätten. Dies war üblich unter den Afrikanern jener Tage und geht zweifellos auf das britische Vorurteil gegenüber unserer Erziehung zurück. Die Erziehung, die ich erhielt, war eine britische, in der britische Gedanken, britische Kultur, britische Institutionen automatisch als höherwertig angesehen wurden. So etwas wie eine afrikanische Kultur kam nicht vor.
    Afrikaner meiner Generation – und selbst heute noch – haben im allgemeinen sowohl einen englischen als auch einen afrikanischen Namen. Weiße waren nicht fähig oder nicht gewillt, einen afrikanischen Namen auszusprechen, und hielten es für unzivilisiert, überhaupt einen zu haben. An jenem Tag erklärte mir Miss Mdingane, mein neuer Name sei Nelson. Warum sie mir diesen Namen gab, weiß ich nicht. Vielleicht hatte es etwas mit dem großen britischen Seefahrer Lord Nelson zu tun, aber das wäre reine Vermutung.
     
     
    Eines Nachts, als ich neun Jahre alt war, bemerkte ich in unserem Haushalt eine bestimmte Unruhe. Mein Vater, der uns monatlich für etwa eine Woche zu besuchen pflegte, war eingetroffen, jedoch nicht zur gewohnten Zeit. Normalerweise hätte er erst ein paar Tage später kommen sollen. Ich fand ihn in der Hütte meiner Mutter, mit dem Rücken auf dem Boden liegend
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