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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit
Autoren: Nelson Mandela
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ihren eigenen Kral, das heißt eine Umfriedung für Tiere, die auch Felder und Hütten umschließen konnte und so etwas wie ein Homestead, ein Gehöft, war. Diese Krals lagen viele Meilen auseinander, und mein Vater pendelte gleichsam zwischen ihnen. Insgesamt zeugte er dreizehn Kinder, vier Jungen und neun Mädchen. Ich bin das älteste Kind des Hauses Rechter Hand und der jüngste von meines Vaters vier Söhnen. Ich habe drei Schwestern, Baliwe, die das älteste Mädchen war, Notancu und Makhutswana. Obwohl der älteste Sohn Mlahlwa war, war meines Vaters Erbe als Häuptling der Sohn des Großen Hauses, Daligqili, der Anfang der 30er Jahre starb. Die anderen drei Söhne sind inzwischen alle verstorben, und jeder von ihnen war mir nicht nur dem Alter nach, sondern auch im Rang voraus.
    Während ich noch kaum mehr als ein Neugeborenes war, geriet mein Vater in einen Zwist, der ihn seine Häuptlings würde in Mvezo kostete und bei ihm einen Charakterzug enthüllte, den ich wohl geerbt habe. Zwar bin ich der Ansicht, daß es hauptsächlich die Umwelt und nicht die Veranlagung ist, die den Charakter formt, doch mein Vater besaß eine stolze Aufsässigkeit, einen unbeugsamen Sinn für Fairneß, die ich an mir selbst wiedererkenne. Wie schon erwähnt, war mein Vater Häuptling – von den Weißen oft auch Headman genannt – und hatte sich in seinem Amt nicht nur dem Thembu-König, sondern auch dem örtlichen Magistrate gegenüber zu verantworten. Eines Tages brachte einer der Untertanen meines Vaters eine Klage gegen ihn vor, die von einem Ochsen handelte, der seinem Besitzer entlaufen war. Der Magistrate schickte eine entsprechende Botschaft, mit der meinem Vater befohlen wurde, vor ihm zu erscheinen. Als mein Vater die Aufforderung erhielt, sandte er folgende Antwort zurück: »Andizi, ndisaqula« (»Ich werde nicht kommen, ich rüste mich noch für die Schlacht«). Dies ist ein Xhosa-Ausdruck, der besagt, daß ein Mann sich zur Schlacht rüstet. Aber damals trotzte man einem Magistrate nicht auf solche Weise. Ein solches Verhalten hätte als Gipfel der Aufsässigkeit gegolten – was es in diesem Fall auch war.
    Die Antwort meines Vaters bewies seine Überzeugung, daß der Magistrate keine legitime Macht über ihn hatte. In Stammesangelegenheiten ließ er sich nicht von den Gesetzen des Königs von England leiten, sondern von der Thembu-Tradition. Diese Mißachtung war nicht einfach eine persönliche Empfindlichkeit, sondern eine Sache des Prinzips. Er machte geltend, was er für sein traditionelles Vorrecht als Häuptling hielt, und forderte die Autorität des Magistrates heraus.
    Als der Magistrate die Antwort meines Vaters erhielt, beschuldigte er ihn umgehend der Insubordination. Es gab keinerlei Befragung oder Ermittlung; das war weißen Beamten vorbehalten. Der Magistrate entzog ihm schlicht seinen Rang, womit das Häuptlingstum der Mandela-Familie sein Ende fand.
    Von diesen Ereignissen ahnte ich damals nichts, doch die Auswirkungen betrafen auch mich. Mein Vater, der nach den Maßstäben seiner Zeit ein wohlhabender Adliger war, verlor seinen Titel und auch sein Vermögen. Man nahm ihm den größten Teil seiner Herde und seines Landes, mithin auch die entsprechenden Erträge. Wegen dieser beschränkten Lebensumstände zog meine Mutter nach Qunu, einem nur wenig größeren Dorf westlich von Mvezo, wo sie die Unterstützung von Freunden und Verwandten finden würde. In Qunu lebten wir in einem bescheideneren Stil, doch verbrachte ich dort, in jenem Dorf bei Umtata, einige der glücklichsten Jahre meiner Knabenzeit; auch rühren von dort meine frühesten Erinnerungen her.
     
     
    Das Dorf Qunu lag in einem engen grasbewachsenen Tal inmitten von grünen Hügeln und wurde von einer Reihe von Bächen durchquert. Die Einwohnerschaft betrug nur wenige hundert Menschen, die in Hütten lebten, bienenstockartigen Bauten aus Lehmwänden und gewölbten Grasdächern mit Holzpfählen in der Mitte, auf denen das Dach ruhte. Der Fußboden bestand aus zerstampftem Ameisenhaufen, jener harten Wölbung über einer Ameisenkolonie, und wurde glattgehalten durch das regelmäßige Einschmieren mit frischen Kuhfladen. Die einzige Öffnung war eine niedrige Tür, und der Rauch vom Herd entwich durch das Dach. Die Hütten standen im allgemeinen gruppenweise zusammen in einer Art Wohnviertel, das ein Stück von den Maisfeldern entfernt lag. Es gab keine Straßen, sondern nur Trampelpfade durch das Gras, von barfüßigen Kindern und
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