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Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home

Titel: Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home
Autoren: Danielle Steel
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auf der Couch und beobachtete, wie er sich noch einen Martini einschenkte. Missbilligend runzelte sie die Stirn.
    »Weißt du, was am allerschlimmsten ist? Du scheinst tatsächlich zu glauben, was du da sagst.«
    »Behauptest du etwa, ich würde sie zu streng erziehen?«, fragte sie herausfordernd.
    »Zu
streng?
Hast du dir ihre Schürfwunden jemals genauer angeschaut? Diese blauen Flecken?«
    »Wenn du mir die Schuld daran gibst, machst du dich nur lächerlich. Jedes Mal, wenn sie sich die Schuhe anzieht, fällt sie auf die Schnauze.« Lässig in die Polsterung gelehnt, zündete sie sich eine Zigarette an.
    »Eloise, was versuchst du mir denn vorzumachen? Ich weiß, was du für Gabriella empfindest. Sie weiß es auch. Das alles hat sie nicht verdient.«
    »Und ich verdien's auch nicht. Hast du eine Ahnung, was sie mir zumutet? Hinter diesen goldenen Locken und großen, unschuldigen blauen Augen, die du so liebst, verbirgt sich ein kleines Ungeheuer.«
    Als hätte der Alkohol einen Schleier weggerissen, sah er seine Frau plötzlich in total anderem Licht. »Bist du eifersüchtig auf das Kind, El? Ja, das muss es sein. Du bist auf deine eigene Tochter eifersüchtig.«
    »Offenbar hast du zu viel getrunken«, erwiderte sie und gestikulierte ärgerlich mit ihrer Zigarette. Was er da sagte, wollte sie nicht hören.
    »Natürlich habe ich Recht. Du bist krank. Jetzt bereue ich, dass wir jemals ein Kind bekommen haben. Dieses Leben, das wir ihr bieten – das
du
ihr bietest, verdient sie wirklich nicht.« Für die Brutalität seiner Frau fühlte er sich nicht verantwortlich, und er war geradezu stolz darauf, dass er sich niemals an Gabriella vergriffen hatte. Aber er beschützte sie auch nicht.
    »Falls du versuchst, an mein Gewissen zu appellieren – bemüh dich nicht. Ich habe mir nichts vorzuwerfen, und ich weiß, was ich tue.«
    »Tatsächlich? Tag für Tag schlägst du sie halb bewusstlos. Und das findest du auch noch gut und richtig.« Verzweifelt leerte er das Glas und spürte die Wirkung seines vierten Martinis. Manchmal brauchte er noch einen fünften und sechsten, um das Grauen zu vergessen.
    »Sie ist nun mal ein schwieriges Kind, John, und deshalb muss ich ihr immer wieder eine Lektion erteilen.«
    Mit glasigen Augen schaute er sie an. »Diese Lektionen wird sie sich sicher merken.«
    »Hoffentlich! Man darf nicht zu viel Aufhebens um Kinder machen. Sonst würde man ihnen nur schaden. Natürlich weiß Gabriella, dass ich Recht habe, und so nimmt sie ihre Strafe jedes Mal widerspruchslos hin.«
    »Weil sie nicht wagt, mit dir zu streiten. Wahrscheinlich fürchtet sie, du würdest sie töten, wenn sie protestiert.«
    »Um Himmels willen, traust du mir einen Mord zu?« Anmutig schlug sie ein wohlgeformtes Bein über das andere. Aber ihre weiblichen Reize interessierten ihn nicht mehr. Als ihm bewusst geworden war, was sie dem Kind antat, hatte er sie zu hassen begonnen – aber nicht genug, um sie daran zu hindern oder um sie zu verlassen. Dafür fehlte ihm der Mut, und allmählich hasste er sich selbst.
    »Warum schickst du sie nicht in ein Internat? Nur damit sie von hier wegkommt – und uns nicht mehr sieht.«
    »Vorher muss sie anständig erzogen werden.«
    »Das nennst du
Erziehung?
Hast du die roten Flecken auf ihren Wangen gesehen?«
    »Die sind morgen verschwunden«, entgegnete Eloise seelenruhig.
    Vermutlich stimmte das. Eloise schien stets zu wissen, wie sie zuschlagen musste, so dass keine Spuren zurückblieben, die man am nächsten Tag sehen würde. Nur an den Armen und Beinen zeigten sich die Wundmale etwas länger. In dieser Kunst hatte sie eine wahre Meisterschaft entwickelt.
    »Du bist
krank
.« Mehr sagte er nicht, bevor er den Raum verließ und zum Schlafzimmer taumelte.
    Ja, zweifellos war sie krank. Doch er konnte nichts dagegen unternehmen. Auf dem Weg durch den Flur blieb er in der offenen Tür seiner Tochter stehen und starrte ins Dunkel. Kein Laut, kein Lebenszeichen. Das Bett erschien ihm leer. Aber als er auf Zehenspitzen ins Zimmer schlich, sah er die kleine, verkrümmte Gestalt am Fußende des Betts. In dieser Haltung schlief sie immer. Vielleicht glaubte sie, auf diese Weise könnte sie sich vor der Mutter verstecken. Durch einen Tränenschleier betrachtete er die Umrisse des armen, geschundenen kleinen Körpers. Er wagte nicht einmal, seine Tochter behutsam zu ihrem Kissen hinaufzuziehen. Damit würde er sie dem Zorn ihrer Mutter ausliefern – sollte Eloise irgendwann im Lauf der
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