Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der lange Regen

Der lange Regen

Titel: Der lange Regen
Autoren: David Kenlock
Vom Netzwerk:
hat. Aber du hast die nahe liegende Frage nicht gestellt - ob Reutter-Schmid an seinem Fundort ermordet wurde?“
    „Das habe ich von Anfang an nicht vermutet. Der Gedanke, dass ein Mörder sich mit seinem prominenten Opfer in eine so verruchte Gegend begibt, nur, um ihn dort zu ermorden, ist einfach unsinnig.“
    „Du hast recht.“
    „Ich suche also irgendeinen Ort in Hamburg, an dem sich ein stehendes Gewässer befindet, in dem noch mikroskopisch kleine Algen leben. Das ist dann der wahrscheinliche Tatort. Richtig?“
    „Richtig.“
    „Dann sag mir doch bitte, wo es so einen Ort geben könnte! In ganz Hamburg gibt es keine Parks, Teiche und keine Seen mehr. Außer der stinkenden Elbe, die unterhalb der 1.Ebene zubetoniert durch Hamburg fließt, gibt es überhaupt kein natürliches Gewässer mehr.“
    Darauf wusste Steve McGawyn keine Antwort und ich auch nicht.
     
     
    Zurück im Büro informierte ich meinen Vorgesetzten Westmann. Er wackelte beim Zuhören mit seinem Hundekopf, sagte wenig und gab mir abschließend den Rat, sehr behutsam vorzugehen.
    Als Nächstes stand die Befragung der Menschen auf meinem Plan, die in Reutter-Schmids unmittelbarer Umgebung gelebt hatten. Dazu musste ich seinen Wohnbereich aufsuchen. Über den Informationsdienst erfuhr ich, dass er und sein Vater - seine Mutter war früh verstorben - gemeinsam einen gigantischen Komplex in der 136.Ebene bewohnten oder im Fall von Götz Erwin Reutter-Schmid bewohnt hatten.
    Ich pfiff anerkennend durch die Zähne. 136.Ebene. Darüber kam nur noch der Himmel.
    Soweit nach oben zu fahren, war nicht einfach. Ab der 76.Ebene brauchte man spezielle Genehmigungen, um weiter zu kommen. Das galt sogar für die Polizei.
    Ich tippte mein Anliegen und die Begründung des Antrages für einen Transport in die 136.Ebene in den Zentralrechner. Zwei Stunden und fünf Tassen Kaffee später spuckte der Drucker einen kleinen, codierten Plastikchip, nicht größer als eine Kreditkarte, aus, und meine Fahrt konnte beginnen.
     
     

4. Darüber der Himmel
     
    Als sich die Tür des Cabs öffnete, betrat ich mit einem Schritt eine andere Welt. Über meinem Kopf wölbte sich eine gigantische Glaskuppel, und Sonnenlicht durchflutete eine Landschaft, wie ich sie sonst nur vom Bildschirm kannte.
    Ein wunderschöner Park breitete sich vor mir aus. Wilde Rasenflächen, übersät mit Blumen, die sich sanft in einem künstlich erzeugten Wind wiegten. Alte Bäume, deren Blätter rauschten, blühende Büsche und vieles mehr. Nicht weit entfernt von meinem Standort entsprang ein Bach zwischen hohen Felsen. Der schmale Wasserlauf schlängelte sich träge durch ein kleines Tal, bevor er in einen See mündete. Vögel flogen über mich hinweg. Insekten summten. Ein Reh beäugte mich kurz, verschwand dann aber in einem lichten Wäldchen.
    Es gab keinen Weg im eigentlichen Sinn, nur einen ausgetretenen Pfad, der durch die Landschaft zum See führte. Da mich niemand empfing und auch sonst keine Menschenseele zu sehen war, folgte ich dem Pfad. Während ich staunend dahinwanderte, zog ich mein Jackett aus. Es war angenehm warm, und ich genoss die Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht.
    Nach fünf Minuten bog der Pfad fast rechtwinklig ab. Ich stapfte eine Böschung hinunter und stand am Ufer des Sees. Sanfte Wellen überspülten einen Kieselsteinstrand. Ich blieb stehen. Die Augen zusammengekniffen, suchte ich meine Umgebung ab. Erst jetzt entdeckte ich das Haus, das sich unauffällig an die hohe Felswand am Ende des Komplexes schmiegte. Aber ich sah noch mehr. Ich sah einen Mann mit weißen Haaren, sonnengebräuntem Gesicht und steifem Gang auf mich zukommen. Er trug Shorts, ein verblichenes Hemd und Sandalen. Trotz seines Alters war sein Körper sportlich durchtrainiert. Hermann Reutter-Schmid. Der Vater des Opfers. Ich erkannte ihn von den Bildern, die ich von ihm gesehen hatte. Einer der mächtigsten Männer dieser Welt. Er ließ sich Zeit. Schließlich blieb er vor mir stehen.
    „Guten Tag, Herr Banner“, begrüßte er mich und streckte mir die Hand entgegen.
    Ich wunderte mich nicht einen Augenblick, dass er wusste, wer ich war, sondern erwiderte seine Begrüßung. Um seine Augen wob sich ein feines Netz aus Falten, das ihn sympathisch machte. Ich mochte ihn auf Anhieb.
    „Bitte kommen Sie mit.“
    Er führte mich um das Ufer des Sees herum, bis wir das Haus erreichten. Er ging nicht hinein, sondern lud mich ein, auf der Terrasse Platz zu nehmen. Während ich mich in einen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher