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Der lange Regen

Der lange Regen

Titel: Der lange Regen
Autoren: David Kenlock
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Hardware-Flüche, kleine gedankengesteuerte Programme, die ganze Netzwerke zum Absturz bringen konnten. Natürlich war das illegal, aber hier unten herrschten andere Gesetze. Ich war hier, um einen Mord zu untersuchen. Mich ging das nichts an, und ich war dankbar dafür.
    Nicht weit von der Hexe entfernt lungerten drei halbwüchsige Cyber-Junkies herum, die vorbeikommende Passanten um ein paar Internetcredits anbettelten. Ihre Augen waren durch spezielle Chips ersetzt, die sie direkt mit dem Net verbanden. Arme Kreaturen, die hauptsächlich von Raub und Diebstahl lebten, um ihre Sucht finanzieren zu können.
    Ein paar Meter weiter lehnten Prostituierte unter einer blinkenden Leuchtreklame. Ihre Oberkörper waren nackt. Vibro-Standard-Brüste wurden mir herausfordernd entgegengestreckt. Eine Tätowierung des Herstellers auf der Haut verriet mir, dass es ein asiatisches Fabrikat war. Eine der Huren trat näher. Ihre lasergesteuerten Impulslippen öffneten sich, und sie ließ ihre Zunge in einem erstaunlichen Tempo um einen imaginären Penis kreisen.
    „Wie wär’s, Baby? Nur fünfzig Normal-Credits“, hauchte sie mich an.
    Sie war noch sehr jung. Höchstens dreizehn. Ich schüttelte den Kopf. Nicht weil sie zu jung, sondern weil ich altmodisch war. Käufliche Liebe war nicht mein Ding.
    Ich hatte die Nutten gerade hinter mir gelassen, als mein Mini-Com mir meldete, dass ich in eine Seitengasse einbiegen sollte. Hier war kaum noch etwas los. Der Gang war fast menschenleer. Fünfzig Meter weiter stieß ich auf eine elektrische Polizeiabsperrung. Ich sandte mein Erkennungssignal aus und konnte passieren.
    Behring hatte sich über die Leiche gebeugt und scannte mit einem Mobilgerät den Körper und die Umgebung. Jeder noch so kleine Gegenstand bis hin zu Haaren und Fusseln wurde so untersucht und den allgemeinen Daten hinzugefügt. Später würden all diese Hinweise in seinem Bericht stehen. Ich nahm mir vor, ihn zu lesen und machte mir eine entsprechende Gedankennotiz.
    Oft erfuhr man aus der Umgebung, in der das Opfer gefunden wurde, mehr als von der Leiche selbst. Täter achten immer darauf, so wenig Spuren wie möglich zu hinterlassen, aber niemand kann wirklich kontrollieren, ob er ein Haar oder ein kleines Stück Schmutz von seinem Schuhabsatz verloren hat. Die Reichweite dieser mobilen Geräte lag bei einem Radius von zehn Metern, danach wurde die Datenmenge einfach zu groß. Außerdem waren nur die Spuren rund um die Leiche selbst interessant, der Rest würde lediglich für Verwirrung sorgen.
    Behring blickte auf, als er meine Schritte hörte. Er erhob sich, schaltete den Scanner ab und lächelte mir entgegen.
    „Hallo Josh“, begrüßte er mich gutgelaunt.
    Ich klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. Behring war ein guter Mann und ein noch besserer Polizist. Ich mochte ihn. Früher waren wir gemeinsam auf den mittleren Ebenen Streife gegangen, aber in letzter Zeit hatten wir uns nur noch selten gesehen. In Hamburg arbeiteten über 500 Mordermittler in den verschiedenen Revieren, und trotzdem litt die Stadt unter Personalnot. Es gab einfach mehr aufzuklärende Morde, als Beamte dafür zur Verfügung standen. Dass wir beide an diesen ungewöhnlichen Schauplatz berufen worden waren, unterstrich nur die gesellschaftliche Stellung des Opfers.
    „Wie sieht es aus?“, war meine erste Frage.
    „Die Daten?“
    „Nein, dein persönlicher Eindruck.“
    Er wandte sich der Leiche zu. „Götz Erwin Reutter-Schmid. Alter dreiundzwanzig. Geschlecht männlich. Identifizierung zweifelsfrei erwiesen durch Gen-Scan. Tod durch massive Gewalteinwirkung im Halsbereich.“
    Ich runzelte die Stirn. „Gewalteinwirkung im Halsbereich? Ich denke, er wurde erdrosselt.“
    „Das glaubte der Beamte auch, der die Leiche entdeckte, aber inzwischen bestehen daran Zweifel.“
    Er ging in die Hocke und gab mir durch eine Handbewegung zu verstehen, dass ich es ihm gleichtun sollte.
    Die Leiche war vollkommen nackt, lag auf der rechten Körperseite in einer gekrümmten Haltung, die an einen Fötus erinnerte. Reutter-Schmid war ein gut aussehender Mann gewesen, nun war er es nicht mehr. Sein Gesicht war verzerrt und gab ihm ein vogelartiges Aussehen. Die blonden Locken klebten an seinem Schädel wie Algen, die das Meer an einen Strand gespült hat. Seine Augen waren offen und blickten irgendwo hin, aber nicht mehr in dieses Leben.
    „Sieh dir das an.“ Behring deutete auf den Hals des Opfers.
    Verfärbte Druckstellen, von Fingern
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